«Seide ist ein wahnsinniges Material», sagt Alexis Schwarzenbach. Der Historiker untersucht mit seinem Team der Hochschule Luzern die Geschichte der Zürcher Seidenindustrie.
Die Forschung im Überblick
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2012 haben mehrere Institutionen das Projekt ins Leben gerufen, das die Geschichte der Zürcher Seidenindustrie aufarbeitet. Es lässt sich in folgende Schritte unterteilen:
Erstmals ging es darum, Archive von Zürcher Seidenfirmen zu sichern. Dabei galt das Prinzip: Papier ins Archiv, Stoff ins Museum. Ins Staatsarchiv Zürich kamen Fotografien, Protokolle und weitere Papierquellen aus den Archiven. Textiles wurde im Landesmuseum Zürich gelagert. Die Bestände aus Privatbesitz sind heute Interessierten öffentlich zugänglich.
In einem zweiten Schritt arbeitete das Forschungsteam der Universität Luzern das Material auf. Die Untersuchungen sind nächstens abgeschlossen. Die wichtigsten Erkenntnisse werden innert zwei Jahren in einem Buch veröffentlicht.
Den grössten Teil des Projektes finanziert der Zürcher Lotteriefonds. Einen Drittel übernimmt die Zürcherische Seidenindustrie-Gesellschaft.
In der Forschung gilt es etwa zu klären, wie Zürich zu einem der führenden Zentren der europäischen Seidenindustrie aufstieg – um 1900 wurden im Kanton Zürich jährlich zig Millionen Meter von Seidenstoff produziert. Aber auch auf eine Epidemie und miserable Arbeitsbedingungen ist das Forschungsteam der Hochschule Luzern gestossen. Doch beginnen wir von vorne.
Im 19. Jahrhundert war das Seidengewerbe der bedeutendste Industriezweig im Kanton Zürich und einer der wichtigsten in der ganzen Schweiz. Anfänglich woben Bäuerinnen und Bauern die Seidenstoffe noch in ihren Stuben.
«Es braucht so viel Fertigkeit, einen solchen Stoff zu weben», sagt Forscher Alexis Schwarzenbach. «Ich habe eine grosse Bewunderung für die zehntausenden Leute, welche dies im Kanton oftmals über Generationen hinweg gemacht haben».
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden mit der Industrialisierung zahlreiche Seidenfabriken. Gleichzeitig sei der Bedarf nach Rohseide gestiegen, so Schwarzenbach: «Immer mehr Menschen hatten Geld übrig und wollten sich luxuriöse Kleidung leisten». Sprich: ein Seidenkleid.
Um 1850 brach jedoch eine Epidemie unter den Seidenraupen aus. «Die Produktion von Rohseide brach zusammen». Seide aus Frankreich oder Italien zu importieren, war nicht mehr möglich. Neue Ideen waren gefragt.
In dieser Zeit stieg Japan zum wichtigsten Produzenten von Rohseide auf. Wegen der Seidenknappheit blickten Händler wie die beiden Zürcher Hermann Sieber und Caspar Brennwald erstmals nach Asien. «Mit ihren Netzwerken reisten sie abenteuerlich nach Japan, wo es noch fast keine europäischen Unternehmer gab und sie Rohseide kauften». Dies sei die faszinierendste Entdeckung der Forschung.
Furchtbares Elend in Japan
Wie das Team um Alexis Schwarzenbach aus Berichten erfuhr, herrschten jedoch miserable Arbeitsbedingungen in den Seidenspinnereien. Zwölf- oder dreizehnjährige Mädchen mussten arbeiten; wurden von ihren Eltern verkauft.
«In der Nacht wurden die Mädchen eingesperrt und von männlichem Aufsichtspersonal misshandelt», sagt Schwarzenbach. «Die Seide der vielen wahnsinnig schönen Stoffe ging durch Hände, die nichts von dieser Schönheit hatten – sondern ein furchtbares Leben und schreckliche Arbeitsbedingungen».
In der Nacht wurden die Mädchen eingesperrt.
Solche Stoffe sind heute in der Textilsammlung des Zürcher Landesmuseum gelagert. Denn im Rahmen des Forschungsprojektes wurden Firmen-Archive gesichert. Papiere wie Fotografien oder Protokolle aus den Archiven finden sich im Staatsarchiv des Kantons Zürichs. Wer will, erhält Einblick: «Für Privatpersonen, die sich interessieren, sind diese Sachen nun sehr gut zugänglich», so Schwarzenbach.
So bleibt die einstige Blütezeit für die Öffentlichkeit sichtbar. In der Stadt Zürich erinnern heute zwar noch Strassen wie die «Seidengasse» oder das «Hotel Seidenhof» an die seidene Vergangenheit. Die letzten beiden Seidenfabriken des Kantons mussten allerdings 2012 schliessen, viele Fabriken wurden inzwischen abgerissen.
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