«Seit ich hier lebe, habe ich dreimal eine solche Katastrophe erlebt, das tut weh», sagt Paula Viva – die Seniorin wohnt in der Oberwalliser Gemeinde Steg und schaufelt seit zwei Tagen Schlamm und Dreck aus ihren Kellerräumen.
Am 30. Juni ist der Bach Galdi, der direkt neben ihrem Haus durchfliesst, über die Ufer getreten. Er hat Vivas Keller geflutet und zahlreiche Dinge zerstört, die ihr lieb waren: Bücher, Bilder oder Pflänzchen.
2024: Überschwemmungen von Goms bis Siders
Das Ausmass der Zerstörung ist jedoch massiv grösser. Nebst dem Galdi sind zahlreiche andere Bergbäche aus ihren Flussläufen ausgebrochen und haben Schutt und Schlamm in die Bergdörfer getragen. Aber auch die Rhone, in die viele der Bergbäche münden, ist an mehreren Stellen über die Ufer getreten und hat das Tal geflutet. Etliche Brücken über den Fluss wurden gesperrt. In Siders stehen ganze Quartiere unter Wasser. Und in Zermatt tritt die Vispa über die Ufer. Eine Person kommt ums Leben.
Die Bilder der Verwüstung rufen im Wallis Erinnerungen wach. In den letzten 30 Jahren ist es immer wieder zu Überschwemmungen gekommen. Rückblick auf zwei weitere Grossereignisse.
2000: Tödliche Schlammlawine in Gondo
Am 14. Oktober 2000 gerät ein Hang oberhalb von Gondo ins Rutschen, zuvor hat es tagelang geregnet. Die Schutzwand, welche das Dorf vor Steinschlag abschirmen soll, wird unterspült – und bricht. Eine Lawine aus Wasser, Schlamm und Geröll reisst das halbe Dorf mit. 13 Menschen sterben. Zwei von ihnen sind die Brüder des damaligen Gemeindepräsidenten Roland Squaratti.
Squaratti sendet nur wenige Minuten nach der Katastrophe einen Hilferuf im Lokalradio. «Wir müssen hier raus. Wir brauchen Helikopter aus Italien oder sonst woher. Wir müssen die Leute hier wegbringen, die Leute müssen hier weg.»
Das Dorf mit seinen damals 161 Einwohnern wird evakuiert. Zurück bleibt Zerstörung. «Das vergisst man nie mehr im Leben», sagt der Gemeindepräsident 20 Jahre nach der Katastrophe gegenüber SRF.
Damals, im Jahr 2000, ist Gondo zwar am stärksten betroffen, aber auch an anderen Orten im Oberwallis führt das Unwetter zu Zerstörung. Der Schaden beläuft sich auf 670 Millionen Franken.
1993: Unwetterkatastrophe in Brig
Am 24. September 1993 tritt in Brig die Saltina über die Ufer. Angestaute Steine und Bäume haben den Durchlass unter der Brücke verstopft. Innerhalb von Minuten wird die Bahnhofstrasse in einen Wildbach verwandelt.
Die ganze Nacht bringt das Wasser Steine und Geröll in die Stadt. Erst gegen Morgen gelingt es den Einsatztruppen, dem Wasser einen Abfluss unter der Brücke zu öffnen und so weitere Zerstörung zu stoppen. Danach zeigt sich das Ausmass der Katastrophe: Der Stadtplatz und die Bahnhofstrasse sind fast zwei Meter hoch mit Schutt, Steinen und Schwemmholz aufgefüllt.
Die Brigerinnen und Briger trauen sich nur zögernd aus ihren Häusern und stehen machtlos vor der Zerstörung. Zwei Frauen sterben, weil sie es nicht geschafft haben, ihr Geschäft rechtzeitig zu verlassen.
Militär, Zivilschutz, Feuerwehr und Krisenstab brauchen Monate, um alle Schäden zu beseitigen. Insgesamt sind über 7500 Helferinnen und Helfer in Brig im Einsatz. Die Schadensumme beläuft sich auf rund eine Milliarde Franken.