Es regnet in Strömen bei acht Grad. Brigadier Germaine Seewer ist bei einer Durchdiener-Rekrutenschule auf Truppenbesuch im Zürcher Unterland, unweit von ihrer Heimkaserne in Bülach entfernt.
Die Militärmützen sind nach kurzer Zeit durchnässt, einige Soldaten und Offiziere husten. Bei diesem Hundewetter ist das kein Wunder. Nur Brigadier Seewer scheint es nichts auszumachen. «Das stört mich überhaupt nicht», wird die höchste Frau in der Schweizer Armee später sagen.
Arbeiten in einem Männerumfeld
Seewer hat ihre grauen, langen Haare akkurat zu einem Knoten gebunden. Ihre Stimme mit dem unverkennbaren Walliser Dialekt ist warm. Nur die Abzeichen und Embleme auf ihrem Kampfanzug verraten, dass sie eine der höchsten Offiziere im Land ist.
Seewer lässt sich von einem Leutnant des Richtstrahlzuges über die Arbeit auf dem Feld informieren. Sie schätzt diese direkten Kontakte mit den Soldaten. Die 54-Jährige arbeitet in einem fast reinen Männerumfeld. Doch das bringt sie nicht aus der Ruhe. «Man macht seine Arbeit und bringt seine Leistung. That's it», sagt sie dazu.
So war es schon, als sie als junge Frau freiwillig die RS machte. Sie sei in einem Umfeld und einer Zeit aufgewachsen, in welcher der Dienst an der Gemeinschaft eine Selbstverständlichkeit war, sagt sie.
Freiwillig geht es besser
Wie hat sie es bis zum Brigadier geschafft? Die 50 Kilometer zu Fuss seien für eine Frau gleich lang wie für einen Mann, sagt sie. Und auch das Gepäck sei gleich schwer. «Man bereitet sich vor und macht das Ganze mit.»
Allerdings, sagt Seewer: «Wenn man etwas freiwillig tut, dann ist man auch bereit.» Frauen wollen also Militär machen, Männer müssen. Die Statistik zeige, dass jede zweite Frau, welche die RS absolviert hat, weitermache.
«Sie profitieren von der militärischen Aus- und Weiterbildung sowie von der Führungserfahrung, die man in so jungen Jahren sonst nirgends sammeln kann», ist Brigadier Seewer überzeugt.
Der Mensch im Vordergrund
Die Schweizer Armee mache bereits viel, um Frauen für das Militär zu motivieren. Doch der Militärdienst sei für Frauen nun mal freiwillig. Ob das so bleiben soll, dazu will sich Seewer nicht äussern.
Auch persönliche Fragen sind ihr eher unangenehm. Seewer spricht nicht gerne über sich, viel lieber über ihre Arbeit. Die Milizarmee? Nach wie vor sinnvoll. Ihr Führungsmotto? Der Mensch steht im Vordergrund.
Trotzdem: Als Frau mit diesem hohen militärischen Grad ist sie natürlich exponiert. Das bekommt Seewer auch manchmal direkt zu spüren, wenn sie in Uniform unterwegs ist und sich dumme Sprüche anhören muss. «Manchmal muss man eine dicke Haut haben.»
Lob vom Untergebenen
Bei ihren Arbeitskollegen ist das Geschlecht aber kaum ein Thema, und wenn, dann positiv. Oberst Pascal Martin, dessen direkte Vorgesetzte Germaine Seewer ist, sagt, das Geschlecht sei unwichtig. Kompetent müsse sein Chef sein. Und das sei Seewer.
Speziell aber komme hinzu, dass für sie der Mensch im Zentrum stehe. «Sie fragt immer, ob die Soldaten richtig verpflegt seien und schaut, dass sie richtig angezogen sind». So etwas habe er bei männlichen Kollegen noch nicht festgestellt.
Und tatsächlich: Nach der Rückfahrt vom Truppenbesuch vergisst Brigadier Germaine Seewer nicht, sich beim Soldaten zu bedanken, welcher sie im Militärfahrzeug chauffiert hat.