Der Felsvorsprung trägt den Namen «Geneva Spur», auf Deutsch «Genfer Sporn». Den Namen erhielt er von Genfer Bergsteigern, die diesen Felsen 1952 erstmals überschritten und so den Weg bereiteten für die Erstbesteigung des Mount Everest im Jahr darauf. Es waren der Neuseeländer Sir Edmund Hillary und Tenzing Norgay Sherpa, denen die Erstbesteigung im Rahmen einer britischen Expedition gelang.
«Nach dem Erfolg der Engländer gingen die Taten der Schweizer etwas vergessen. Durch die spätere geschichtliche Aufarbeitung durch Historiker wurden die Verdienste der Schweizer jedoch dargestellt», erklärt Hansrudolf Keusen, Alpinist, Geologe und Stiftungsrat in der Schweizerischen Stiftung für Alpine Forschung.
Keusen gehört zu denjenigen, die mit verschiedenen der damaligen Pioniere gesprochen haben. Unter anderem mit Hansruedi von Gunten, der die Drittbesteigung des Everest schaffte und vor zwei Jahren gestorben ist.
Die Engländer betrachteten den Mount Everest als ihren Berg.
Als die Schweizer sich aufmachen, den Everest zu besteigen, sind die Briten seit rund 30 Jahren erfolglos dran – und entsprechend brüskiert. Als die Schweiz von Nepal 1952 die Erlaubnis für zwei Expeditionen erhält, sei das für die Briten «eine kleinere diplomatische Katastrophe» gewesen, weiss Keusen.
«Sie betrachteten den Mount Everest als ihren Berg.» Und an «ihrem Berg» kommen die Schweizer vorerst gut voran beim ersten Versuch im Frühling 1952. «Sie überwinden die Randspalte spektakulär und eröffnen einen neuen Zugang zur Südkante. So entsteht später der ‹Genfer Sporn›», erzählt Keusen.
Am Schluss wird es bitter: 250 Meter vor dem Gipfel muss die Schweizer Seilschaft aufgeben. Es herrschen extrem Wetterbedingungen, an eine Erstbesteigung ist nicht zu denken. Auch beim zweiten Versuch im Herbst 1952 scheitern die Schweizer.
Doch daraus können die Briten ihre Lehren ziehen, zum Beispiel der Einsatz von Sauerstoffmasken. Oder die Routenwahl, denn die Briten werden bei der Erstbesteigung die Schweizer Route wählen. Dort, wo sie bislang scheiterten, erklimmen sie nun erfolgreich den Gipfel.
«Der Expeditionsleiter der Engländer, Hunt, sagte nach der Expedition, dass es ihnen ohne die Schweizer und ohne diese Vorarbeit nicht gelungen wäre, auf den Everest zu kommen», bestätigt Keusen. «Auch deshalb, weil die Engländer Tenzing Norgay Sherpa dabei hatten, der schon bei den Schweizer Expeditionen dabei war und die Route kannte.»
Dass die Briten den Schweizer zuvorkamen, habe übrigens keine Missgunst ausgelöst, glaubt Keusen. Er sprach darüber auch mit dem verstorbenen Everest-Pionier Von Gunten. «Er hat mir gesagt, dass die Schweizer es den Engländern gegönnt haben. Weil Engländer schon so viele Male versucht haben, auf den Berg zu kommen.»
Faszination bleibt bis heute
Die Schweizer wiederum hätte ihre Taten nicht an die grosse Glocke gehängt und seien bescheiden geblieben. Das Erbe der Bergsteiger-Stiftung sei aber geblieben: 1956 sei durch die Arbeit der Schweizer Bergsteiger eine Karte des Mount Everest entstanden, die heute noch benützt werde.
Dass der Everest noch heute Bergsteiger magisch anzieht, habe sogar der Pionier Von Gunten verstanden, berichtet Keusen. «Er hat mir zwei Sachen dazu gesagt: Erstens sei der Gipfel selber für ihn nicht so wichtig gewesen, sondern das Herankommen an den Berg, was alleine schon einen Monat gedauert hat. Und zweitens: Das seien andere Zeiten gewesen und er möge jedem Bergsteiger diesen Berg gönnen.»