SRF News: Das Bundesamt für Gesundheit verkündet einen Höchststand bei den Organspenden. Jubeln Sie mit?
Franz Immer: Ich freue mich natürlich, dass die Spenderzahlen verglichen mit 2016 wieder angestiegen sind. Wir haben in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht bei den Spitälern. Unter anderem wird das Fachpersonal zweckgebunden finanziert, ausgebildet und geschult. Der Haupt-Treiber hinter dem Anstieg ist aber die Wiedereinführung der Spendenform nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand 2011.
Was bedeutet das?
Bei aussichtsloser Prognose erfolgt der Therapieabbruch auf der Intensivstation. Bei Patienten mit schwersten Schädigungen, wo der Tod nach Therapieabbruch innert zwei Stunden eintritt, kann die Frage nach der Organspende auf der Intensivstation gestellt werden. Immer mehr Spitäler führen diese Organspendeform durch.
Dann waren also die Werbespots des BAG, die dazu ermuntern, über die Organspende zu sprechen, nicht wirklich ausschlaggebend?
Die Ablehnungsrate der Angehörigen, die oft über die Organspende entscheiden, ist weiterhin auf hohen 60 Prozent. An den Rückmeldung aus den Spitälern sehen wir, dass in der Hälfte der Gespräche die Angehörigen den Wunsch der Verstorbenen nicht kennen. Die Kampagne ist dennoch sicher hilfreich, denn sie zielt darauf, dass man seine Zustimmung oder Ablehnung der Organspende zu Lebzeiten mitteilt. Einen grossen Sinneswandel hat die Kampagne aber nicht ausgelöst.
Oft sind es die Angehörigen, die eine Spende ablehnen. Weshalb?
Die heutige Gesetzgebung sieht vor, dass die Angehörigen stellvertretend für die verstorbene Person einwilligen müssen, wenn man deren eigenen Wunsch nicht kennt. Wenn zeitlebens nie darüber gesprochen wurde, ist das eine sehr schwierige Entscheidung. Viele Familien sagen lieber nein und glauben, damit auf der sicheren Seite zu sein. Das ist der Hauptgrund für die hohe Ablehnungsrate.
Was sind die grössten Bedenken?
Etwa zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung sind explizit gegen Organspende. Das wissen wir aus Umfragen. Die Argumente sind dabei unterschiedlich. Manche zweifeln, ob man bei der Entnahme der Organe auch wirklich tot ist, andere lehnen die Organspende aus religiösen Gründen ab – obwohl eigentlich die grossen Religionen die Organspende unterstützen. Es gibt Leute, die ihre gesunden Organe niemandem geben wollen, der seine eigenen kaputt gemacht hat. Das sind teils spezielle Argumente, aber es ist äusserst legitim, nicht spenden zu wollen. Wichtig ist, dass man den Wunsch der Verstorbenen kennt – egal, ob Ja oder Nein.
Sie unterstützen eine Volksinitiative, die die Einführung der Widerspruchslösung will. Wenn aber ohnehin schon so wenige Menschen spenden wollen, warum rechnen Sie sich dann mit der Initiative trotzdem Chancen aus?
Der Blick über die Grenze zeigt, dass die Ablehnungsrate mit dieser Lösung viel tiefer ist. Frankreich, Österreich und Italien haben Ablehnungsraten zwischen 20 und 30 Prozent. Die Initiative verlangt zwingend ein Register, und wer nicht spenden will, kann sich dort eintragen. Bisher trug man diesen Entscheid auf einem zusammengefalteten Blatt Papier im Portemonnaie mit sich. Das Register schafft Klarheit und Sicherheit, und es entlastet auch die Angehörigen. Und es stärkt die Eigenverantwortung.
Was, wenn sich jemand nicht in das Register einträgt.
Dann entscheiden immer noch die Angehörigen über die Organspende. Es ist keine «automatische» Organspende, wie man oft lesen kann. Es gibt immer das Gespräch mit den Angehörigen, sie haben ein Veto-Recht, überall in Europa.
Warum würden Sie ihre Organe spenden?
Sie und ich könnten morgen eine Leber oder ein Herz brauchen. Für mich ist es daher ganz klar, dass ich Organe und Gewebe spenden würde. Denn ich weiss, dass mein Körper ein paar Stunden später ohnehin kremiert würde. Damit kann ich den Menschen auf der Warteliste eine neue Lebensqualität zurückgeben oder ihnen gar das Leben retten.
Das Gespräch führte Felicie Notter.