Das Wichtigste in Kürze:
- Die Versicherer von Krankentaggeldern haben für 2018 teilweise eklatante Prämienerhöhungen angekündigt. Auf einen Schlag bis zu vier Mal mehr sollen einige Kunden bezahlen.
- Einerseits ist das auf die Intervention der Finanzmarktaufsicht Finma zurückzuführen, die die «undurchsichtige Rabattpolitik» von den Versicherern korrigiert haben will.
- Andererseits begründen die meisten Versicherungen die höheren Prämien mit immer mehr und immer teureren Schadenfällen.
- Letztere Erklärung akzeptiert der Ombudsmann für Privatversicherungen nicht. Viel mehr vermutet er bei den Versicherungen eine «Entsolidarisierung der Risikogruppen».
Viele selbständig Erwerbende fanden in den letzten Monaten in ihrem Briefkasten eine Hiobsbotschaft ihrer Krankentaggeld-Versicherung: Die neue Police mit massiv höheren Prämien. Diese wichtige Versicherung wird so zum Luxusprodukt, welches sich einzelne kaum mehr leisten können.
Vierfache Prämie auf einen Schlag
Zum Beispiel Heinz Schneeberger: «Gerade in meinem Beruf als Landwirt kann immer mal ein Unfall passieren. Man ist einfach gelöster, wenn man für so etwas abgesichert ist.» Bisher hätte er im Krankheitsfall pro Tag 140 Franken erhalten, dafür zahlte er eine Prämie von 231.90 Franken pro Monat. Anfangs Jahr erhielt er Post von seiner Versicherung, der CSS: Die gleiche Leistung soll neu pro Monat 955.70 Franken kosten – also das Vierfache.
Heinz Schneeberger kam ins Grübeln: «Im ersten Moment wähnte ich mich im falschen Film. Ich dachte, da kannst du so viel arbeiten wie du willst, das kannst du nicht mehr bezahlen.» Ihm bleibt keine Wahl: Um weiterhin versichert zu sein, muss er bei den Leistungen Abstriche machen.
Zu tiefe Prämien in den vergangenen Jahren
Die CSS erklärt, Heinz Schneeberger sei in einem sogenannten Rahmenvertrag zusammen mit anderen Bauern versichert. Aufgrund einer Intervention der Finanzmarktaufsicht Finma sei die massive Prämienerhöhung nötig. Insgesamt erhielten 1300 solcher Gruppen von der CSS zu hohe Rabatte. Tausende Taggeldversicherte sind nun mit teils massiven Prämienerhöhungen konfrontiert.
Tatsächlich massregelte die Finma die Taggeldversicherer. Gegenüber «Kassensturz» erklärt die Aufsichtsbehörde: «Wir stellen generell fest, dass viele Versicherte über mehrere Jahre hinweg zu tiefe Prämien erhalten haben, ohne das zu wissen.» Und dies sei zum Nachteil der anderen Kunden. Seit zwei Jahren verlangt die Behörde deshalb von den Versicherern, ihre undurchsichtige Rabattpolitik zu korrigieren. Die Folge: Riesige Prämiensprünge und schlimme Konsequenzen für die Betroffenen.
Plötzlich nicht mehr finanzierbar
Einen gewaltigen Prämiensprung musste auch Bea Gschwend aus dem Zürcher Oberland erfahren. Die Primarlehrerin arbeitet seit sieben Jahren selbständig als Schulberaterin und Lehrerin von schwer integrierbaren Schülern. Die Taggeldversicherung ist für sie wichtig: «Wenn ich nach einem Unfall nicht mehr arbeiten könnte, bin ich auf das Geld angewiesen.»
Völlig unerwartet erhielt sie von Visana im Juni die Kündigung ihres Krankentaggeldvertrages. Der gleichen Post lag die neue Police bei. Die neue Prämie: 4620 Franken pro Jahr – das Dreifache der alten Prämie von 1602 Franken.
Die Lehrerin fühlt sich ausgenommen: «Der Gipfel ist, dass man ab 55 Jahre keine Chance mehr hat, die Versicherung zu wechseln. Ich habe noch nie Taggeld-Leistungen in Anspruch genommen, habe immer brav bezahlt und jetzt kommt die Quittung.» Nach reiflicher Überlegung schliesst Bea Gschwend vorerst keine Krankentaggeldversicherung mehr ab. Ihr Risiko trägt sie künftig selber.
Ombudsmann hält nicht viel von der Argumentation der Versicherungen
Visana schreibt dazu, gewisse Verträge seien bei weitem nicht mehr kostendeckend gewesen, deshalb sei es in diesen Fällen zu Prämienerhöhungen gekommen. «Kassensturz» fragte auch bei den anderen grossen Versicherern nach.
Teilweise teurer wird die Taggeldversicherung bei Baloise, Generali und Helsana. Die Allianz erhöht ihre Prämien um 9,5 Prozent, auch bei der Groupe Mutuel steigen die Prämien, Swica gar zwischen 10 und 50 Prozent.
Alle Versicherer begründen die Aufschläge mit immer mehr und immer teureren Schadenfällen.
Auch beim Ombudsmann der Privatversicherungen Martin Lorenzon meldeten sich in den letzten Monaten viele Betroffene. Solche Prämiensprünge kann er nicht nachvollziehen: «Das Krankentaggeld-Versicherungsgeschäft ist planbar, daher lassen sich so starke Prämienerhöhungen nicht einfach nur mit steigenden Kosten erklären.» Das wäre gemäss Lorenzon höchstens möglich bei einer starken Pandemie mit vielen unverhofften Krankheitsfällen.
Der Ombudsmann beobachtet viel eher, dass Versicherer Risikogruppen aufspalten. Das führe dazu, dass Versicherte mit einem grösseren Krankheits-Risiko plötzlich viel mehr Prämien bezahlen müssten: «Dieser Trend führt letztlich zu einer Entsolidarisierung der bestehenden Risikogemeinschaft und wenn man diese Verfeinerung der Risikogemeinschaften bis ins Unendliche führen würde, gäbe es keine Solidarität mehr und jeder müsste seinen Schaden selber bezahlen.»