Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – egal ob Mann oder Frau. Diese hinlänglich bekannte Parole ist in der Schweiz immer noch nicht Realität. Laut den neusten Zahlen des Bundesamtes für Statistik verdienten Frauen im Jahr 2016 im privaten Sektor durchschnittlich 19.6 Prozent weniger als Männer. Der Unterschied beim Medianlohn (über öffentlichen und privaten Sektor erhoben) belief sich auf 12 Prozent.
Trotzdem schrecken viele Frauen vor einer Lohnklage zurück. Zu gross ist die Angst vor den Konsequenzen.
Angst um den Job
Helena Trachsel kennt diese Bedenken sehr gut. Als Leiterin des Gleichstellungsbüros des Kantons Zürich berät sie Frauen, die von Lohndiskriminierung betroffen sind. Oftmals bestehe in solchen Fällen ein Loyalitätskonflikt mit dem Arbeitgeber. Viele Frauen hätten auch Angst vor dem Verlust ihrer Stelle und vor Diskriminierungen, sagt sie.
Seit 1996 ist in der Schweiz das Gleichstellungsgesetz, welches die Chancengleichheit im Erwerbsleben sicherstellen soll, in Kraft. Eine Klageflut zur Lohnungleichheit blieb jedoch aus. In der Deutschschweiz gab es seither 287 Fälle, was im Schnitt 13 Klagen pro Jahr macht.
Die Gleichstellungsbüros der Deutschschweiz sammeln sämtliche Verfahren und Entscheide. «10vor10» hat die 237 rechtskräftigen Fälle ausgewertet. Die Fälle von Lohndiskriminierung nahmen mit der Einführung des Gleichstellungsgesetzes 1996 deutlich zu. Seit Anfang der Nullerjahre gingen sie hingegen wieder zurück.
In 167 Fällen ist die klagende Partei eine Frau und macht damit die grösste Gruppe aus. 61 Mal haben Gruppen oder Verbände geklagt. Auch hier klagten mehrheitlich Frauen. In neun Fällen waren die Kläger Männer.
Susy Stauber, langjährige Vorsitzende der Schlichtungsbehörde nach Gleichstellungsgesetz des Kantons Zürich, kennt viele dieser Fälle. Als Rechtsanwältin hat sie auch mehrere Lohnklagen vor Gericht ausgefochten.
Stauber empfiehlt in Streitfällen niederschwellige Vergleiche vor einer Schlichtungsbehörde. Aber sie schränkt ein: «Das bedeutet natürlich, dass man auch eine gewisse Kompromissbereitschaft haben muss.» Man erhalte so vielleicht nicht die ganze Lohndifferenz, die als diskriminierend erachtet wurde. Bei Gerichtsverfahren hingegen werde die Sache aber rasch unberechenbar, sagt Stauber.
Das zeigt auch die Analyse von «10vor10»: 112 Verfahren enden vor der Schlichtungsbehörde, in 113 Fällen entscheidet das Gericht. Vor der Schlichtungsbehörde endet die deutliche Mehrheit der Fälle in einem Vergleich, mit 69 Prozent.
Vor Gericht aber werden nur 22 Prozent gutgeheissen. Die Erfolgschancen vor Gericht sind also relativ gering. Das bestätigt auch die Genfer Rechtsprofessorin Karine Lempen. Sie hat vor zwei Jahren schweizweit die Rechtsprechung in Sachen Lohnklagen untersucht.
Schwierige Beweislage
Das Hauptproblem sei dabei vor allem die schwierige Beweislage aus Sicht der Betroffenen, kritisiert sie. Dass es keine Lohntransparenz gebe, mache es für die Klagenden extrem schwierig, Indizien zu sammeln. «Es kann nicht sein, dass es an Einzelpersonen hängen bleibt, dafür zu sorgen, dass das Bundesgesetz über die Gleichstellung umgesetzt wird», kritisiert sie.
Der Gang vor Gericht birgt für Betroffene grosse Risiken – finanziell und persönlich. Die Verfahren sind oft teuer und kräftezehrend – der Ausgang ungewiss.