Ein grauer Neubau mitten im Dorfzentrum von Moosseedorf, einem Vorort von Bern: Hier ist das Therapiezentrum für Essstörungen. Die heute 17-jährige Lea betrat letzten Spätsommer das Zentrum zum ersten Mal – und blieb vier Monate. «Während des ersten Corona-Shutdowns war ich sehr auf mich alleine gestellt», erinnert sie sich. «Es ging psychisch nur noch abwärts.» Lea ass nicht mehr und hatte starkes Untergewicht. «Ich war schwach und erschöpft, mir war wegen der Unterernährung ständig schwindlig und schwarz vor Augen.» Ihr Vater brachte sie deshalb in den medizinischen Notfall ins Spital.
Die Diagnose war klar. Lea litt an Anorexie, also Magersucht. Nicht klar war für die Ärztinnen und Ärzte, was mit der jungen Frau, welche eine Ausbildung zur Pflegefachfrau macht, geschehen soll. Das Problem: keine freien Behandlungsplätze für Betroffene dieser Krankheit.
Erst ein paar Wochen nach der eigentlichen Diagnose konnte Lea in die stationäre Behandlung in Mosseedorf. Nach dem ersten Shutdown 2020 verzeichneten viele therapeutische Einrichtungen in der Schweiz einen starken Anstieg von jungen Patientinnen und Patienten. Gerade solche mit Essstörungen.
Die Zentrumsleiterin in Moosseedorf, Armita Tschitsaz, schlug bei der Klinikleitung Alarm. Die Warteliste mit Betroffenen aus dem ganzen Kanton war so lang, dass zum Teil auch lebensbedrohliche Fälle abgewiesen werden mussten, erinnert sich die Psychotherapeutin: «Die Patienten wurde nicht so behandelt, wie es nötig war. Teilweise erhielten sie gar keine Behandlung.»
Wir konnten teilweise nicht mehr alle behandeln.
Das sei oftmals gefährlich gewesen. Denn: Bei Essstörungen leidet der Körper zum Teil massiv, die Patientinnen, in den meisten Fällen sind es junge Frauen, drohen regelrecht zu verhungern.
Betroffene melden sich erst spät – das gehöre eben auch zum Krankheitsbild, sagt die Psychotherapeutin. Weshalb es in den Augen der Expertin umso wichtiger ist, dass Betroffene, wenn sie sich dann endlich melden – rasch behandelt werden können.
Nach langen Vorbereitungen kann das Zentrum der Universitätsklinik Bern nun ausbauen. Die Klinik konnte ein weiteres Gebäude mieten, Personal einstellen, zusätzliche stationäre Betten einrichten und mehr ambulante Betreuung durchführen.
Nicht nur wegen Corona
Auch anderorts wird aufgestockt, zum Beispiel im Kantonsspital in Winterthur. Denn: Gemäss der Gesellschaft für Essstörungen verzeichnen Kliniken in der ganzen Schweiz seit gut eineinhalb Jahren mehr Patientinnen und Patienten. Zum Teil ist von mehr als einem Drittel als in den Jahren zuvor die Rede.
Das habe sicher mit Corona zu tun, aber nicht nur, sagt Armita Tschitsaz: «Auch der Zeitgeist spielt eine Rolle.» Sprich: Dünn sein ist ein Schönheitsideal, das mittels Social Media den Jungen immer wieder vor Augen geführt wird. Die Zentrumsleiterin rechnet deshalb auch nicht damit, dass die hohe Zahl der Fälle rasch wieder abnimmt.
Behandelt werden die Patientinnen in Moosseedorf mit verschiedenen Formen von Psycho- und Gruppen-Therapien, sie lernen ihr Essverhalten zu kontrollieren, müssen zunehmen. Der 17-jährigen Lea, welche mit grossem Untergewicht letzten September in die Klinik kam, hat der Aufenthalt von gut vier Monaten geholfen. «Ich konnte einen grossen Schritt nach vorne machen.»
Doch noch immer besucht sie regelmässig eine Therapie. Sie hofft aber, dass der Klinik-Aufenthalt hier in Moosseedorf der letzte war.