Seit gut 20 Jahren ist die Zahl der Tierversuche in der Schweiz stabil. Im Jahr 2016 wurde laut dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen mit gut 600'000 Tieren Versuche gemacht – ähnlich viele wie in den Jahren zuvor.
Anfang der 1980er-Jahre waren es noch deutlich mehr. Damals war es normal, dass bis zu dreimal mehr Tiere für Versuche eingesetzt wurden als heute. Seither fand ein Umdenken statt. Doch reicht das?
Initiative will Totalverbot von Tierversuchen
Für Julika Fitzi, Tierärztin und Tierschützerin beim Schweizer Tierschutz, ist klar, dass noch viel weniger Tiere unter Versuchen leiden sollten. Allerdings weiss auch sie, die Tierversuche nicht von heute auf Morgen vollständig gestoppt werden können.
Deshalb hofft sie auf die Diskussion um die Volksinitiative, welche Tierversuche vollständig verbieten will: «Dank der Initiative muss man sich zwangsläufig mit der Thematik auseinandersetzen.» Sie sei überzeugt, dass die Diskussion «in die richtige Richtung» – also hin zu noch weniger Tierversuchen – laufen würde.
Wir haben den Tierversuch als solches nie genug hinterfragt.
Die Initiative selber, die ein Komplettverbot von Tierversuchen vorsieht, ist Fitzi allerdings zu radikal und vor allem zu ideologisch. Doch es sei mehr Druck auf Wissenschaft und Industrie notwendig. «Wir haben den Tierversuch als solches nie genug hinterfragt», ist sie überzeugt. Es brauche vor allem mehr Transparenz.
Die Forscher sind in der Pflicht
Die Forscher sollten erklären müssen, wieso ihre Arbeit sinnvoll ist. «Wenn das niemand nachvollziehen kann, dann hat der Forscher seine Hausaufgaben nicht gemacht.» Fitzi fordert also mehr Mut von Forschern, über ihre Versuche zu reden, sie zu erklären, und sich den Fragen und der Kritik in der Öffentlichkeit zu stellen.
Ein Verfechter von Transparenz ist auch Hanno Würbel. Der Forscher an der Universität Bern hat seine Karriere dem Thema Tierversuche gewidmet. «Die Wissenschaft kann und muss transparenter werden», sagt Würbel. Denn wenn die Tierversuche besser begründet seien, könnte deren Notwendigkeit der Bevölkerung auch vermittelt werden. Es geht ihm vor allem darum, Tierversuche besser und schonender anzulegen.
Das Wohl des Tieres muss wichtiger werden
Doch Transparenz bedeutet im Fall der Tierversuche viel Arbeit. Es helfe wenig, einfach eine Webcam im Tierversuchslabor aufzustellen und die Bilder online zu stellen, so der Berner Forscher. Da es sich um stark emotionalisierende Bilder handle, müsse dazu auch der entsprechende Content geliefert werden. Es brauche also ein Engagement seiner Forscherkollegen.
Die Wissenschaft kann und muss transparenter werden.
Doch bei denen stehe das Thema Tierwohl leider oft nicht an oberster Stelle. «Es ist frustrierend festzustellen, wie der Aspekt Tierwohl als nicht so wichtig angesehen wird», sagt der Wissenschaftler.
Dem Tierwohl dienen könne man auch indirekt, sind sich Tierschützerin Fitzi und Forscher Würbel einig. Dafür müssten aber die Studien, für welche Tierversuche durchgeführt werden, verbessert werden.
Schlecht angelegte Tierversuchsstudien
Manche Studien würden schlicht nicht sorgfältig genug durchgeführt, die Ergebnisse seien in diesen Fällen kaum zu gebrauchen – und das Tierleid war umsonst, sagt Fitzi. Dazu kommt, dass die Ergebnisse aus Tierversuchen häufig nicht auf den Menschen übertragbar seien. Ausserdem sind die Rahmenbedingungen in Tierversuchen oft so künstlich, dass Verhalten und Reaktionen der Tiere kaum noch auswertbar sind.
Wissenschaftler Hanno Würbel sieht einen Wandel, der nicht mehr aufzuhalten ist. «Bereits heute sind Methoden, die vor 30 oder 50 Jahren angewendet wurden, undenkbar sind.» Dieser Trend werde weitergehen. Deshalb müssten neue Methoden entwickelt werden, welche tierschonend seien. «Sie müssen Schmerzen und Leiden bei Tieren möglichst ausschliessen.»
Fitzi und Würbel sind sich einig: Punkto Tierversuchen ist in der Schweiz noch Luft nach oben, es ginge um einiges besser und effektiver als heute.