Fliessend lesen können, ein Buch, eine Zeitung, auf dem Smartphone – für die meisten ist es eine Selbstverständlichkeit. Lesen lernen fällt jedoch längst nicht allen leicht. Manche Kinder leiden schwer daran, müssen die Wörter mühsam buchstabieren. Laut vorlesen gerät schnell zum Alptraum.
Ein Projekt, das eine pensionierte Lehrerin in Zusammenarbeit mit dem Zürcher Tierschutz etabliert hat, hilft jetzt Kindern, ihre Ängste zu überwinden. Die Kinder lesen Katzen im Tierheim vor und finden ein dankbares und ganz und gar unkritisches Publikum.
Die Zweitklässlerin Greta zum Beispiel hat grosse Hemmungen, in der Schule vorzulesen. Sie hat damit schlechte Erfahrungen gemacht: «Die Kinder müssen immer tuscheln. Ich habe einfach Angst, wenn ich der ganzen Klasse vorlese.» Das Lesen ist ihr deshalb etwas verleidet. Dem Büsi vorlesen hingegen ist etwas ganz anderes.
Ich habe einfach Angst, wenn ich der ganzen Klasse vorlese.
Nachdem sich Katzen und Kind begrüsst haben, legt Greta los. Sie liest, zunächst noch etwas stockend, dann immer fliessender und freier. Bald legen sich die Katzen hin, ins Häuschen oder unter den Katzenbaum. Schliessen geniesserisch die Augen, die Katzenohren gespitzt.
In entspannter Atmosphäre liest es sich gut
Ideal sei sie, diese Übungsanlage, sagt die pensionierte Lehrerin Monika Reppas-Schmid. Sie regte das Projekt nach einem Berliner Vorbild an und freut sich, wie positiv Kinder und Katzen auch in Zürich reagieren. «Die Kinder vergessen fast, dass sie am Lesen und Üben sind. Sie machen es ja den Katzen zuliebe.»
Es macht fast den Eindruck, als würde es auch den Katzen gefallen. Der Eindruck täusche nicht, sagt Rommy Los, Geschäftsführer vom Zürcher Tierschutz. Es sei einerseits eine schöne Abwechslung im Tierheimalltag. «Andererseits haben wir Katzen, die sehr scheu sind, vielleicht auch aufgeregt wegen der vielen Katzen im Umfeld. Für die ist es beruhigend, wenn da jemand sitzt und einfach nur in Ruhe etwas vorliest.»
Katzen hätten so auch die Möglichkeit, sich einer Person von sich aus zu nähern. Auch das tue den Katzen gut.
Für Greta hat sich das Projekt schon gelohnt. Schon zehnmal las sie den Katzen vor und entwickelte dabei viel mehr Freude am Lesen. Sie setze sich jetzt auch mal zu Hause hin und lese ein Buch, berichtet der Vater. «Das war früher undenkbar.»
Neue Ideen für die Leseförderung
Nach den Sommerferien soll das Pilotprojekt zum festen Angebot werden, das wissenschaftlich begleitet wird. Innovative Ansätze, die bei Kindern die Freude am Lesen wecken, seien nötig, sagt Studienleiterin Stephanie Wermelinger. Laut Pisa-Studie könnten Kinder immer schlechter lesen, dabei sei Lesen eine absolut zentrale Fähigkeit.
«Wer gut lesen kann, ist meist auch in allen anderen Schulfächern besser. Auch als Erwachsene kann man besser am sozialen, politischen und wirtschaftlichen Leben teilnehmen», sagt Wermelinger. Der Grundstein dafür wird in jungen Jahren gelegt. Neben Elternhaus und Schule können dabei auch Katzen helfen.