Die Schweiz sei heute an einem anderen Punkt als zu Beginn der Coronakrise, betont Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga. Heute verfüge die Schweiz über gute Massnahmen und der Föderalismus könne nun seine Stärken ausspielen.
SRF News: Am 19. Juni hat die Schweiz ihre Massnahmen weitgehend gelockert – schneller als fast jedes andere europäische Land. Sie haben gesagt: «Wir müssen jetzt die Balance finden.» Finden Sie wirklich, dass wir diese Balance gefunden haben?
Simonetta Sommaruga: Die absolute Balance werden Sie niemals haben. Das ist das Typische an der Balance, dass sie immer wieder gesucht werden muss. Und das spüren wir jetzt auch ein wenig. Neu seit diesem Datum ist, dass die Kantone wieder vermehrt in der Verantwortung stehen. Dies war ein äusserst wichtiger Schritt.
Das ist ja die Stärke des Föderalismus, dass die Kantone ganz nah und rasch eingreifen können.
Wir haben auch ganz unterschiedliche Situationen in den Kantonen. Wir haben zum Beispiel in Genf eine ganz andere Ausgangslage als in Baselland. Diese Situationen könnte sich aber auch wieder schnell ändern.
Und jetzt können die Kantone ganz spezifisch und schnell Massnahmen ergreifen. Sie können an den Hotspots mal einen Club schliessen, die Konzepte werden besser und die Kontrollen werden strenger. Das ist ja die Stärke des Föderalismus, dass die Kantone ganz nah und rasch eingreifen können.
Bund und Kantone haben die Verantwortung hin und her geschoben. Der Bund fand, die Kantone müssten mehr tun, und die Kantone fanden, der Bund sollte durchgreifen.
Ich finde, zu Beginn der Krise war dies der Fall. Und das war auch verständlich, weil der Bund, die Kantone und die Bevölkerung dieses Virus nicht kannten und wir auch nicht wussten, was funktioniert, während die Infektionszahlen weiter anstiegen. In dieser Situation konnte man nicht einfach sagen, die Kantone sollen schauen.
Zum Glück haben das Tessin und auch die anderen stark betroffenen Kantone wie Waadt oder Genf sehr schnell reagiert. Aber jetzt sind wir an einem anderen Punkt. Der Bundesrat, die Spitäler, die Kantone und die Bevölkerung haben alle sehr viel gelernt.
Schauen wir anlässlich der steigenden Fallzahlen kurz in die Zukunft. Kann sich die Schweiz einen zweiten Lockdown leisten?
Wie ich vorhin schon gesagt habe, wir sind jetzt an einem anderen Punkt als zu Beginn der Krise. Die Situation wird deshalb nicht gleich verlaufen. Man weiss in den Kantonen mittlerweile, wo sich gewisse Infizierte aufgehalten und angesteckt haben. Wir wissen, wie wir Kontaktdaten nachverfolgen können, zudem haben wir eine Quarantänepflicht, wenn man aus gewissen Ländern zurückreist.
Das Risiko, dass wir wieder in eine Situation kommen wie zu Beginn der Krise, ist derzeit sehr klein.
Wir verfügen also über wirklich gute Massnahmen und auch über Kantone, die eingreifen können und auch motiviert sind, weil sie wissen: Jetzt sind wir gefordert. Dann muss man manchmal einen Club schliessen.
Deswegen ist das Risiko, dass wir wieder in eine Situation kommen wie zu Beginn der Krise, sehr klein. Aber wir können nie ausschliessen, dass die Zahlen wieder ansteigen. Deshalb ist der Bundesrat ja immer noch da und steht mit den Kantonen in engem Kontakt.
Das Gespräch führte Urs Leuthard.