Die Schweiz galt lange als vorbildlich für ihre transparente Medikamenten-Preispolitik. Nun steht sie in der Kritik. Der Grund: Immer mehr kassenpflichtige Arzneimittel werden mit einem geheimen Preis auf die Spezialitätenliste gesetzt. Denn, unter dem Siegel der Geheimhaltung gibt es Rabatte.
Intransparenz durch Rabatte
Die Pharmafirmen erlassen jedem Land individuelle Preisnachlässe auf ihre Arzneimittel. Doch wie hoch diese Rabatte beim Verkauf sind, ist ein gut gehütetes Geheimnis. Kein Land weiss vom anderen, welche Rabatte die Firmen gewähren. Die tatsächlich bezahlten Preise sind teils massiv tiefer als die offiziellen Vergleichspreise: sogenannte Schaufensterpreise.
Lange machte die Schweiz bei diesem System nicht mit. Doch damit ist Schluss. Professorin Kerstin Vokinger von der Universität Zürich hat die Preismodelle von Arzneimitteln auf der Spezialitätenliste untersucht. Ihre Erkenntnis: Bis Oktober 2020 wurden 51 Arzneimittel mit einem Rabattmodell gelistet.
Preise werden zur Geheimsache
Insbesondere in den letzten zwei Jahren seien vermehrt Preismodelle mit komplett geheimen Rabatten festgesetzt worden, so Vokinger gegenüber der «Rundschau». Sie hat 15 eruiert, das Bundesamt für Gesundheit (BAG) bestätigt 14 solche Preismodelle. Das Resultat, totale Intransparenz: «Arzt und Patient wissen gar nicht mehr, was die tatsächlichen Preise sind. Und der Patient hat das Recht zu wissen, was seine Therapie kostet», so Vokinger.
Die Höhe des Rabatts bleibt ein Geheimnis zwischen der Pharmafirma und dem Bundesamt. Vokinger erklärt: «Der Gesetzgeber gibt klar vor, wie sich der Preis eines Arzneimittels zusammensetzen soll. Und das ist jetzt nicht mehr überprüfbar.»
Zum Nachteil der Patienten
Der Bundesrat möchte jetzt Preismodelle als Instrument der Preispolitik mit der Revision des Krankenversicherungsgesetzes gesetzlich verankern. Um damit «einen raschen, möglichst kostengünstigen Zugang zu innovativen, hochpreisigen Arzneimitteln zu gewährleisten», heisst es in einem Faktenblatt des BAG.
Doch die Studie von Kerstin Vokinger zeigt, die Praxis wirkt sich zum Nachteil der Patienten aus: «Bei Arzneimitteln mit einem Preismodell geht es gut doppelt so lange, bis der Preis feststeht, als bei solchen ohne. Der Patient wartet also länger. Ausserdem haben wir bei rund der Hälfte der Arzneimittel gesehen, dass diese keinen hohen Nutzen für Patienten haben. Das System dient nicht dem Patienten», so Vokinger.
Instrument der Preispolitik
Wem also dienen die Rabattmodelle? Die «Rundschau» weiss: Es sind die Pharmafirmen, die auf die umstrittenen Preismodelle als «Lösung» für einen Verhandlungserfolg drängen.
René P. Buholzer, Geschäftsführer von Interpharma, dem Dachverband forschender Pharmafirmen in der Schweiz, verteidigt die Praxis. «Diese Modelle werden dort eingesetzt, wo wir komplexe Probleme haben, die wir mit dem gängigen Preisfestsetzungs-System nicht lösen können. Der schnellere Zugang muss das Ziel sein.» Und zum Nutzen sagt Buholzer: «Es darf keine Therapie zugelassen werden, die nicht wirtschaftlich und effektiv ist, das prüft das BAG.»
Bundesamt verteidigt Praxis
Auch beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) betont man die Wichtigkeit der Preismodelle: «Wenn die Schweiz da nicht mitzieht, kann es sein, dass sie entweder keinen Zugang mehr hat zu Medikamenten – oder zu viel für sie zahlen muss. Es ist wichtig, dass wir diese Möglichkeit haben für Ausnahmesituationen», so Ryan Tandjung, Abteilungsleiter im BAG.