Während fünf Tagen steht derzeit eine Gruppe von mutmasslichen Islamisten in Zürich vor Gericht. Die Angeklagten sollen 2016 zwei andere Gläubige in der Winterthurer An’Nur-Moschee bedroht, beschimpft und geschlagen haben.
In anderen Fällen sorgten in der Vergangenheit auch junge Dschihad-Reisende aus Winterthur für Schlagzeilen. Die Stadt hat deshalb vor fünf Jahren die Fachstelle Extremismus und Gewaltprävention gegründet. Laut dem Zuständigen Urs Allemann gibt es auch heute noch Handlungsbedarf.
SRF News: Nebst dem Prozess hört man derzeit im Zusammenhang mit Islamismus nicht mehr so viel von Winterthur. Wie schätzen Sie die Situation heute ein – ist das Problem gelöst?
Urs Allemann: Nein, dieses Problem ist an sich nicht gelöst. Seit der Gründung der Fachstelle im Oktober 2016 haben wir einen konstanten Beratungsbedarf. Während es in der ersten Zeit nur um gewalttätigen Dschihadismus ging, hat sich das Themenspektrum nun vergrössert. Wir beraten auch rund um Fälle von Rechts- und Linksextremismus. Bei der Hälfte der vierzig Beratungen, welche wir durchschnittlich jährlich machen, stehen islamistische Radikalisierungen im Vordergrund.
Im jüngsten Sicherheitsbericht wird Winterthur als sicherste Grossstadt der Schweiz gelobt. Doch darin steht auch, dass der Nachrichtendienst des Bundes die Stadt noch immer als «Hotspot» bezüglich Islamismus bezeichnet. Inwiefern ist das Problem also noch vorhanden?
Es ist so, dass wir in diesem Bereich demütig sein müssen. Das Problem von Extremismus ist nicht nur davon abhängig, wie eine Stadtverwaltung reagiert oder ob Fachstellen eröffnet werden. Es kommt auch sehr stark auf die geopolitische Lage an, wie sich die Szene und die Bewegungen entwickeln. Dies kann man nur bedingt beeinflussen.
Das Netzwerk verfügt über ein grosses Wissen. Dies gibt Sicherheit
Wir haben es aber geschafft, eine rege genutzte Fachstelle aufzubauen, welche anonyme und vertrauliche Beratungen macht. Das Netzwerk verfügt über ein grosses Wissen im Bereich von verschiedenen politischen und religiösen Bewegungen. Dies gibt Sicherheit.
Im Zusammenhang mit Islamismus und Dschihadismus hat sich in Syrien oder im Irak viel verändert. Wirkt sich dies auch auf die Winterthurer Szene aus?
Es hat nicht nur Auswirkungen auf die Szene in Winterthur, sondern allgemein auf islamistische Bewegungen und Gruppierungen. Der Prävention spielt in die Hände, dass das territoriale Kalifat, welches 2014 noch bestanden hat, mit der Zurückdrängung des Islamischen Staates an Kraft verloren hat. Früher war es ein wichtiger Bezugspunkt für radikale Personen, welche darin eine Alternative zu ihrem Lebensumfeld gesehen haben. Doch dieser Bezugspunkt fiel bald weg – und damit schwindet auch die Anziehungskraft.
Wäre es nicht möglich, dass gerade die jüngsten Entwicklungen in Afghanistan wieder solche Bezugspunkte schaffen?
Dies kann sein, ist aber natürlich rein spekulativ. Wie sich die geopolitische Lage heute verändert, beeinflusst die lokale Extremismus-Prävention von morgen. Nur können wir schlecht in die Zukunft blicken.
Was machen Sie, um die Situation zu kontrollieren?
Wichtig ist, dass wir seismografisch arbeiten, mit unseren vorhandenen Winterthurer Partnerinnen und Partnern in unserem Netzwerk Extremismus und Gewaltprävention. Das heisst: Wir achten darauf, wer wo Trends beobachtet und ob es neue Gruppierungen gibt. So sind wir mit extremistischen Entwicklungen wenigstens im Gleichschritt.
Das Gespräch führte Hans-Peter Künzi.