Im Campus Muttenz wird gewerkelt, gebastelt und gelernt. Zwei Reihen von Computern warten auf Jugendliche, auf einem Tisch liegen wild durcheinander Krokodilklemmen, angeschrieben in krakeliger Schrift und dickem Filzstift. Hier in Muttenz hat das Projekt «ICT Scouts und Campus» 2016 seinen Anfang genommen. Mit dem Start des Campus Bern am 15. Juni ist es in den definitiven Betrieb übergegangen. ICT – auf Deutsch steht das für Informations- und Kommunikationstechnologien.
«Es ist ein Stein, der nach jahrelanger Anschubphase ins Rollen gekommen ist», erzählt Gründer und Geschäftsführer Rolf Schaub auf einem der Sofas des Campus'. Bereits 2011 sei ihm die Idee gekommen, als Mitglied der Schulleitung und zuständig für die Informatiklernenden an der Gewerbeschule Muttenz. «Zum einen schaffen wir es einfach nicht, mehr Frauen herzuholen. Aber auch die Qualität der Lernenden könnte durchaus besser sein – Betriebe haben Mühe, geeignete Lehrlinge zu finden.» Die Idee zu «ICT Scouts und Campus» war geboren: Nachhaltige und langfristige ICT-Talentförderung.
Talentförderung wie im Sport
Das Projekt funktioniert ähnlich wie die Talentsuche im Sport: Scouts besuchen möglichst flächendeckend Klassen eines Jahrgangs an verschiedenen Schulen. Pro Klasse wird ein vierstündiger Programmier-Workshop durchgeführt. Kinder, die ein besonderes Flair zeigen, werden für den Campus eingeladen.
Jeden zweiten Samstag können sie dort eigene ICT-Projekte umsetzen, begleitet von Mentorinnen und Mentoren. Die Teilnahme ist freiwillig, ohne Prüfungsdruck und dauert bis zum Ende der obligatorischen Schulzeit. Im Vordergrund steht, dass die 13- bis 16-Jährigen ihre eigenen Ideen stressfrei und selbständig umsetzen. Sie sollen ihr Talent entdecken und Gleichgesinnte kennenlernen.
Talent benötigt keine Vorkenntnisse
IT-Vorkenntnisse sind keine Voraussetzung. Es gehe vielmehr darum, wie die Kinder mit Problemen umgehen: «Informatik ist ein Gebiet, bei dem immer etwas nicht funktioniert», sagt Schaub. Die Scouts beobachten deswegen, wie die Jugendlichen auf Hindernisse reagieren – ob sie aufgeben, die Nachbarin fragen oder auf Hilfe warten.
Kürzlich hatten wir ein Mädchen, dessen Game aufgrund eines Fehlers nicht lief, es ging aber gegen Ende des Tages zu. Es sagte trotzdem 'Ich gebe nicht auf, bis es läuft' – das sind die Jugendlichen, die wir auf dem Campus wollen!
Die Zusammensetzung der Teilnehmenden aber auch der Mentorinnen und Scouts ist divers: Rund die Hälfte aller Jugendlichen im Projekt sind Mädchen, die von Informatikern, Mathematikerinnen und Pädagogen unterstützt werden.
Lang dauerndes und langfristiges Projekt
Die Finanzierung ist – wie bei vielen solchen Projekten – der Knackpunkt. Eine Wende brachte das Wunsch-Schloss Thun, bei dem «ICT Scouts und Campus» im 2018 das Siegerprojekt war. Der Sieg verhalft dem Projekt zu einer grösseren Bekanntheit und Unterstützung in der Wirtschaft und Politik. Für die nächsten fünf Jahre ist somit die Finanzierung gesichert und erfolgt über Stiftungen, Sponsoring, Mitgliederbeiträge und die öffentliche Hand.
Trotzdem braucht es immer noch Überzeugungsarbeit, denn das Projekt zielt nicht auf kurzfristige Soforterfolge. Projekte in der Wirtschaft müssten sich meist nach ein bis zwei Jahren lohnen – bei «ICT Scouts und Campus» suchen nun nach drei Jahren die ersten Abgängerinnen und Abgänger eine Lehrstelle.
Weitere Standorte in naher Zukunft
Mit dem Campus in Bern ist «ICT Scouts und Campus» also in den regulären Betrieb übergegangen. Das ist erst der Anfang: Weitere Standorte sollen dieses und nächstes Jahr in Zürich, Visp, Lenzburg und Winterthur eröffnet werden. Auch hier macht sich der Fachkräftemangel bemerkbar: Das Projekt sucht noch händeringend nach Scouts und Mentorinnen.
Update 25.06.2019: Ergänzt um den Beitrag des Wunsch-Schloss Thun (sim).