Die Gruppe von Menschen in der Schweiz, die keine Informationssendungen konsumieren, steigt. Das stellt das Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (Fög) der Universität Zürich in seinem «Jahrbuch Qualität der Medien 2022» fest. Fast vier von zehn Befragten geben an, keine oder kaum Informationsmedien zu nutzen.
Die Wissenschaft spricht von Deprivation, also von Mangelversorgung. Für Medienwissenschaftler Mark Eisenegger vom Fög eine bedenkliche Entwicklung, denn sie betrifft nicht nur die Jungen. Auch bei der Altersgruppe 50+ habe die News-Deprivation zugenommen. «Diese Unterversorgung mit News ist ein gesamtgesellschaftliches Problem», sagt Eisenegger.
Nur sieben Minuten News pro Tag
Illustrieren lässt sich diese Mangelversorgung mit einer spezifischen Untersuchung bei den jungen Erwachsenen. Die Forscher und Forscherinnen haben aufgezeichnet, welche Inhalte die 19- bis 25-Jährigen täglich auf ihrem Handy aufrufen. Dabei zeigte sich: «Junge Erwachsene verbringen durchschnittlich nur sieben Minuten pro Tag damit, News zu konsumieren.»
Dass ein wachsender Teil der Bevölkerung kaum mehr auf Informationsjournalismus zurückgreife, habe mit den Social-Media-Plattformen zu tun, erklärt der Medienwissenschaftler: «Auf sozialen Medien haben wir ein riesiges Überangebot von Quellen und Informationen. Deshalb vermuten wir, dass diese Reizüberflutung gewissermassen den Journalismus und News an den Rand drückt.»
Mehr Social Media als Journalismus
Viele nutzten zunehmend Social-Media-Kanäle wie Instagram, TikTok oder Youtube und griffen nicht mehr auf journalistische Inhalte zurück. Das habe Folgen für das politische System, sagt Mark Eisenegger, Direktor des Forschungszentrums Fög:
«Leute, die unterversorgt sind mit News, beteiligen sich unterdurchschnittlich an Abstimmungen und Wahlen. Ihr politisches Interesse ist weit unterdurchschnittlich. Wir sehen auch, dass das Vertrauen in die demokratischen Institutionen – in den Bundesrat, die Regierung – wenig ausgeprägt ist», erklärt Eisenegger.
Bei gut informierten Bürgern beträgt die Stimmbeteiligung im Durchschnitt 70 Prozent. Bei jenen, die sich kaum informieren, nur 30 Prozent. Dies besorgt den Medienwissenschaftler.
Wenn sich Menschen weniger am demokratischen Prozess beteiligen, ist das alarmierend.
«Oft hat man gehört, das ist ja nicht so schlimm. Diese Menschen informieren sich über andere Kanäle oder ihr Umfeld.» Doch nun sehe man, dass sich das sehr konkret auf die demokratische Beteiligung auswirke. «Wenn sich Menschen weniger am demokratischen Prozess beteiligen, wenn sie weniger Vertrauen haben in die Demokratie und in Institutionen, ist das alarmierend.»
«Journalismus ist systemrelevant»
Diese Entwicklung könne die Gesellschaft nicht einfach so hinnehmen, sagt Eisenegger: «Wir müssen die Schweizerinnen und Schweizer wieder sensibilisieren für die Bedeutung des Journalismus. Er ist systemrelevant. Ohne Journalismus können wir keine Demokratie haben. Es ist gerechtfertigt, diesem Berufsstand wieder die Anerkennung zu verschaffen, die er tatsächlich verdient.»
Damit spricht der Medienprofessor auch jenen Politikerinnen und Politikern ins Gewissen, die sich regelmässig abschätzig über die Medien äussern.