Jana ist zwanzig Jahre alt und studiert an der ETH Zürich. Doch anders als viele Kolleginnen und Kollegen lebt sie nicht mehr bei ihrer Familie oder in einem Studentenwohnheim. Das Zuhause der jungen Baslerin als «kleine Wohngemeinschaft» zu bezeichnen wäre ebenfalls falsch. Denn Jana lebt mit hundert älteren Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern und zwei weiteren Studentinnen im Stadtzürcher Gesundheitszentrum Klus Park. Wie kam es dazu?
Hilfe bei digitalen Problemen
Im Herbst 2019 ist die gebürtige Baslerin zum Studieren nach Zürich gezogen. Auf einem Vermittlungsportal der ETH Zürich hat sie ein Inserat entdeckt: Die Stadt Zürich suchte Studis, die mit Seniorinnen und Senioren wohnen möchten, gemeinnützige Arbeit leisten und dafür weniger Miete bezahlen müssen. «Ich habe mich beworben und den Job und die Wohnung erhalten», freut sich Jana im Rückblick.
Diese Wohnform in einem Alterszentrum ist hierzulande einmalig, schätzt Peter Burri als Kommunikationsleiter von Pro Senectute Schweiz. «Es ist ein spannendes Projekt, das es aktuell nur in Zürich gibt.» Den Versuch, Alt und Jung unter einem Dach zu vereinen, lancierte die Stadt vor zwei Jahren.
Hilfe bei Mails und Internet
Dieses sogenannte generationenübergreifende Wohnen soll den Austausch zwischen Senioren und jungen Menschen fördern. Dies scheint zu funktionieren, wie die Beteiligten gegenüber SRF bestätigen.
Es ist ein spannendes Projekt, das es aktuell nur in Zürich gibt.
Bei einem Augenschein im Gesundheitszentrum Klus Park berät Jana ihre 82-jährige Mitbewohnerin Ljudmila Schmid bei Fragen rund ums Digitale. «E-Mails kann man weiterleiten oder beantworten. Weisst du noch, wie es funktioniert?», fragt die junge Frau die Seniorin.
Ljudmila Schmid bejaht, berührt das Tablet vor ihr und beginnt zu tippen. Findet sie gewisse Umlaute auf der Tastatur nicht, ist Jana ihr behilflich. Die Studentin habe ihr auch gezeigt, wie sie im Park des Zentrums Internetzugang einrichten könne, erzählt Schmid mit kraftvoller Stimme: «Dass mir das gelungen ist, ist für mich ein Erfolgserlebnis.»
Wie bei den Grosseltern
Für solche Aufgaben ist Jana in einem Pensum von zehn Prozent bei der Stadt Zürich angestellt. Der Lohn wird von ihrer Miete abgezogen. Mit den zwei weiteren Studentinnen organisiert die junge Frau auch Diskussionsabende oder Filmnachmittage. Bezüglich des Genres mussten sich die Generationen erst finden. Jana schmunzelt. «Unser Geschmack und ihre Vorlieben sind teilweise etwas unterschiedlich».
Aus Sicht der älteren Generation haben sich die drei Studentinnen gut eingelebt. «Sie haben verstanden, dass wir hier eine Gemeinschaft sind und man sich integrieren soll», sagt Ljudmila Schmid.
Ich würde die Studentinnen sehr vermissen, wenn sie nicht da wären.
Dabei lässt sie nicht unerwähnt, dass die jungen Frauen bis zu sechzig Bewohnerinnen und Bewohner mit Namen kennen. «Ich würde die Studentinnen sehr vermissen, wenn sie nicht da wären.»
Persönliche Probleme besprechen
Wie in einer grossen Wohngemeinschaft fühle sich das Zusammenleben an, erzählt Jana. Nicht mit allen sei das Verhältnis gleich eng.
Teilweise komme ich auch mit meinen ganz persönlichen Problemen vorbei.
Bei gewissen Personen bleibe es beim Austausch während der Filmnachmittage. «Teilweise komme ich aber auch mit meinen ganz persönlichen Problemen vorbei und so kommen auch die Bewohnerinnen und Bewohner zu mir», sagt die Studentin.
In Gesprächen könne sie sich eine zweite Meinung einholen oder ihr Anliegen aus einem anderen Blickwinkel betrachten. «Das ist schon ein bisschen wie bei meinen Grosseltern.»
Gesellschaft wird immer älter
Zufrieden mit dem Wohnversuch sind nicht nur die Beteiligten, sondern auch die Stadt Zürich. Derzeit leben in drei Alterszentren junge Menschen, zwölf sind es insgesamt. Dieses Angebot möchte die Stadt gerne weiter ausbauen. Deshalb prüft sie in ihren Gesundheitszentren, ob eine «Studenten-Senioren-Kombi» möglich wäre. Zudem will der Stadtrat weitere Wohnformen für Alt und Jung schaffen.
Pro Senectute Schweiz begrüsst diesen Entscheid des Zürcher Stadtrates: «Wir hoffen, dass dieser Ansatz schweizweit Schule machen kann und erfolgreich wird», sagt Kommunikationsleiter Peter Burri. «Dann haben wir eine neue, spannende Wohnform für die Zukunft.» Diese ist gemäss Burri auch nötig. Denn alle Schweizer Gemeinden stünden vor der Herausforderung einer immer älter werdenden Gesellschaft.
Grosse Hürde: Räumlichkeiten fehlen
Doch weshalb setzen nicht schon längst viel mehr Alterszentren in der Schweiz auf die Wohnform mit Studenten? Gemäss Burri spielt hierbei auch der wirtschaftliche Aspekt eine Rolle. Alterszentren seien in der Regel auf Personen ausgerichtet, welche gepflegt werden müssen und die Hotellerie beanspruchen. «Dies ist ein etwas anderes Geschäftsmodell», sagt Burri.
Alterszentren in den Städten müssen abwägen, wie viel sie in diesen sozialen Aspekt investieren können und wollen.
«Wenn ein Zimmer frei wird, müssen die Alterszentren prüfen, ob sie sich eine Vermietung zu einem tieferen Preis an Studentinnen und Studenten leisten können.» Sei dies der Fall, könnte es auch ein Zeichen einer gewissen Überkapazität sein. «Gerade die Alterszentren in den Städten müssen abwägen, wie viel sie letztendlich in diesen sozialen Aspekt investieren können und wollen.»
Auch die Stadt Zürich bestätigt auf Anfrage, dass nicht alle Alterszentren für diese Wohnmöglichkeit taugen. Es könne nur Wohnraum von Studentinnen und Studenten genutzt werden, der für Bewohnerinnen und Bewohner nicht infrage komme. Dies sind beispielsweise Wohnungen ohne Zugang zum Lift oder solche, die nicht an die Notrufzentrale angebunden sind. Solche Räumlichkeiten hätten aber nicht alle Institutionen zur Verfügung.
Im Gesundheitszentrum Klus Park in der Stadt Zürich ist dies der Fall. Jana wohnt im fünften Stock, wo kein Lift hinführt. Ein Ausbau ist aufgrund des Denkmalschutzes nicht möglich. Zum Glück, könnte man aus Janas Sicht wohl sagen. Denn die Studentin möchte auch in Zukunft während ihres Masters noch im Gesundheitszentrum wohnen. «Definitiv», sagt sie ohne zu zögern.