Name, Alter und Emotion. All das können Kameras mittlerweile aus Gesichtern lesen und auswerten. Was bei uns umstritten ist, ist in China bereits Realität.
Das Problem ist, dass nicht nur Schwerverbrecherinnen und Schwerverbrecher ins Visier geraten, sondern die gesamte Bevölkerung.
So weit soll es bei uns nicht kommen, ist die politische Linke in St. Gallen überzeugt. Sie hat sich deshalb gestern im Stadtparlament für ein Verbot von automatischer Gesichtserkennung im öffentlichen Raum starkgemacht. «Das Problem ist, dass nicht nur Schwerverbrecherinnen und Schwerverbrecher ins Visier geraten, sondern die gesamte Bevölkerung. Es ist auch erwiesen, dass solche Systeme diskriminierend sind. Dunkelhäutige Personen und Frauen werden schlechter erkennt. Unter ihnen gibt es deshalb häufiger falsche Treffer», sagte SP-Stadtparlamentarierin Marlène Schürch.
Bürgerliche wollen Polizeiarbeit vereinfachen
Die Bürgerlichen haben weniger Vorbehalte gegenüber dieser Technologie. Für sie steht die Sicherheit im Fokus: «Wir wollen keinen gläsernen Bürger. Wir wollen keine chinesischen Verhältnisse. Wir wollen der Polizei aber den grösstmöglichen Spielraum lassen. Wie die allfällige digitale Gesichtserkennung genutzt werden könnte, muss aber klar geregelt sein», sagt Liliane Kobler von der FDP.
Wir wollen der Polizei den grösstmöglichen Spielraum lassen.
Am Ende hat das St. Galler Stadtparlament dem Verbot für automatische Gesichtserkennung im öffentlichen Raum knapp zugestimmt. Es folgt damit der Stadt Zürich, wo aktuell an der Umsetzung des Verbots gearbeitet wird. Auch in Lausanne zeichnet sich ab, dass ein entsprechendes Verbot kommt.
Technologie bei Straftaten erlaubt
Dass die Städte hier vorgreifen, sei Symbolpolitik, sagt Strafrechtlerin Monika Simmler. Sie hat sich auf Rechtsfragen rund um die Gesichtserkennung spezialisiert. «Es geht darum, explizit etwas zu verbieten. An der Rechtslage wird sich nichts ändern, weil automatische Gesichtserkennung schon jetzt nicht erlaubt ist. Ich verstehe das Verbot in Zürich und St. Gallen als Moratorium, denn diese Städte sagen damit, dass man gar nicht erst auf die Idee kommen soll, dies einzuführen.»
Es geht darum, explizit etwas zu verbieten. An der Rechtslage wird sich nichts ändern, weil automatische Gesichtserkennung schon jetzt nicht erlaubt ist.
Trotzdem nutzen gewisse Polizeikorps in der Schweiz bereits heute diese Technologie zur Aufklärung von Straftaten, so auch die Kantonspolizei St. Gallen. Daran könnten auch die Verbote in bestimmten Städten nichts ändern, so Simmler.
Wie kommt es zu diesem Widerspruch? «Bei den Entscheidungen im St. Galler und Zürcher Stadtparlament geht es um die präventive Überwachung des öffentlichen Raums. Dabei wird die Gesichtserkennung angewandt, bevor etwas passiert ist. Hier liegt die Kompetenz bei den Städten und Kantonen. Alles, was mit Strafverfahren zu tun hat, ist aber in der Kompetenz des Bundes. Dabei wird die Technologie angewandt, nachdem etwas passiert ist», sagt Simmler. Sollte die automatische Gesichtserkennung also nicht zur Aufklärung von Straftaten eingesetzt werden dürfen, müsste das eidgenössische Parlament ein entsprechendes Verbot erlassen.
Bündnis strebt komplettes Verbot an
Für ein Verbot auf allen Ebenen, also kommunal, kantonal und national setzt sich das Bündnis «Gesichtserkennung stoppen» ein. Es will keinen Flickenteppich bei diesem Thema. Im Frühling hat das Bündnis, bestehend aus Amnesty International Schweiz, AlgorithmWatch Schweiz und der Digitalen Gesellschaft, eine Petition mit über 10'000 Unterschriften den Städten Zürich und Lausanne überreicht.
Mit dem Vorpreschen dieser Städte und St. Gallen kommt die Bundespolitik unter Druck, künftig klare Regeln für alle, also Städte, Kantone aber auch Behörden und Polizei zu schaffen.