Deutschsprachig gegen französischsprachig, Oberwallis gegen Unterwallis. Vier Jahre hat der Verfassungsrat, ein 130-köpfiges Gremium, an einer neuen Walliser Verfassung geschrieben. Regionale Befindlichkeiten standen immer wieder im Zentrum der Diskussionen. Seit Ende April steht nun der fertige Entwurf für die neue Kantonsverfassung.
Valais dominiert Wallis
Zwar hat der Verfassungsrat den Entwurf mit einer Zweidrittelmehrheit klar und deutlich angenommen. Trotzdem gab es Misstöne. Vor allem aus dem Oberwallis, vor allem von den Bürgerlichen. Die deutschsprachige Minderheit fühlt sich benachteiligt.
«Wir sind eine sprachliche und kulturelle Minderheit», sagt der Oberwalliser Romano Amacker. Er hat für die SVP an der Verfassung mitgeschrieben. Für ihn ist klar: «Beide Kulturen müssen angemessen im Parlament und den Institutionen vertreten sein.»
Eine garantierte Sitzzahl im Kantonsparlament, wie sie die Oberwalliser für sich in die Verfassung hätten schreiben wollen, wurde von der welschen Mehrheit aber abgelehnt. Auch aus Forderungen nach zusätzlichen Garantien bei den Staatsrats- oder Ständeratswahlen wurde nichts.
Das Oberwallis wird sich damit abfinden müssen: Die Region verliert künftig weiter an politischer Bedeutung. Die Sitzzahlen im Kantonsparlament sind abhängig von der Entwicklung der Bevölkerungszahlen. Und da hat der französischsprachige Kantonsteil bei weitem mehr Gewicht. Aktuell zählt das Wallis rund 350’000 Bewohnerinnen und Bewohner. Im Oberwallis leben nur knapp 24 Prozent.
Was bedeutet Minderheitenschutz?
Hat das Oberwallis einen Minderheitenkomplex? Thomas Antonietti schüttelt den Kopf. «Nein, es ist eher ein fehlendes Minderheitenbewusstsein», sagt der Ethnologe und SP-Gemeinderat von Visp. Denn in den Diskussionen im Verfassungsrat sei es allein um die Vertretung in den politischen Behörden gegangen.
«Das ist eine eigenwillige Interpretation von Minderheitenschutz», so Antonietti. Um den Ausgleich zwischen Berggebiet und Agglomerationen im Tal oder um kulturelle und gesellschaftliche Vielfalt sei es dabei nicht gegangen. «Es wurde Minderheitenschutz mit Machterhaltung verwechselt.»
Es wurde Minderheitenschutz mit Macherhaltung verwechselt.
Die Machtverhältnisse im Wallis haben sich geändert. Jahrhundertelang war die deutschsprachige Minderheit im Wallis tonangebend, das Unterwallis Untertanengebiet der Oberwalliser Vögte. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts drehte sich der Wind. Heute ist das Wallis ein Nebeneinander von zwei Sprachregionen.
Die Zerreissprobe kommt noch
Spielt die Geschichte heute noch eine Rolle in der Beziehung zwischen den beiden Regionen? Thomas Antonietti findet: Ja. «Früher hatte das Oberwallis Privilegien, die in der heutigen demokratischen Gesellschaft keinen Platz mehr haben. Das Oberwallis ist aber nur eine von vielen Minderheiten.»
Kann der Graben zwischen den beiden Sprachregionen noch zugeschüttet werden – oder wird er durch die Verfassung noch tiefer? Das letzte Wort hat das Walliser Stimmvolk. Das wird voraussichtlich im Frühjahr 2024 an der Urne entscheiden, ob es die neue Verfassung annehmen will oder nicht. Klar ist schon jetzt: Der Abstimmungskampf dürfe für den Kanton zu einer Belastungsprobe werden.