Knapp eine halbe Million Schweizerinnen und Schweizer nehmen psychologische oder psychiatrische Hilfe in Anspruch. Laut einer Studie des Bundesamts für Gesundheit gibt es bei Kindern und Jugendlichen einen Versorgungsengpass. «Ich höre immer wieder von Patienten, dass sie in vielen verschiedenen Praxen anrufen müssen, bis sie einen Platz finden», sagt Psychotherapeutin Sophie Wick gegenüber «10vor10».
Das stört auch den Verband der Schweizer Psychologinnen und Psychologen. «Wir haben vor allem in ländlichen Gebieten und Agglomerationen eine Unterversorgung, wie auch im Kinder- und Jugendbereich», sagt Yvik Adler, Präsidentin des Verbandes.
Abhängig von Psychiatern
Grund für diesen Engpass sei das Arbeitsmodell der Therapeuten. Fast die Hälfte der Psychotherapeuten arbeitet zumindest teilweise delegiert. Das heisst: Sie sind angestellt bei einem Arzt; einem Psychiater, dieser erhält die Gelder aus der Grundversicherung und entlöhnt wiederum den Therapeuten.
Schon seit Jahren kämpfen die Therapeuten gegen diese Abhängigkeit von den Psychiatern. Bisher erfolglos. Letzten November haben die Psychotherapeuten diese Forderung dem Bund in einem offenen Brief übergeben.
Im Frühling waren Gespräche mit dem Departement gescheitert. Der Grund: die Angst vor steigenden Kosten in der Grundversicherung. Nun haben die Psychotherapeuten über 90'000 Unterschriften für ihr Anliegen gesammelt und übergeben diese Petition am 11. März dem Bundesrat.
Steigende Kosten befürchtet
Die Kosten sind auch das Hauptargument von bürgerlichen Gesundheitspolitikern wie Regine Sauter, die einem Systemwechsel kritisch gegenüberstehen.
«Bei einem Modellwechsel gibt es mehr Psychotherapeuten, die Leistungen zu Lasten der Grundversicherung abrechnen, und man weiss; je mehr Leistungen vorhanden sind, desto mehr Leistungen werden konsumiert», sagt die Zürcher FDP-Nationalrätin. Sie befürchtet einen Kostenanstieg in der Grundversicherung.
Krankenkassen fordern Kontrolle
Vor steigenden Kosten fürchtet man sich auch beim Krankenkassenverband Santésuisse. Trotzdem hat man dort ein offenes Ohr für die Forderungen der Psychotherapeuten. «Gewisse Bedingungen müssen unbedingt erfüllt sein», erklärt Direktorin Verena Nold. «Die Überweisung muss durch einen Psychiater geschehen, die Behandlungen müssen regelmässig überprüft werden und falls die Kosten aus dem Ruder laufen, Gegenmassnahmen ergriffen werden.»
Druck im Bundeshaus
Für Diskussionen sorgt das Thema auch im Bundeshaus. Mehrere politische Vorstösse zum Thema wurden bereits eingereicht. In seinen Antworten gibt der Bundesrat zu verstehen, dass man an einer Änderung des Modells arbeite und noch dieses Jahr konkrete Schritte zu erwarten seien. Ob die in Richtung Selbständigkeit für die Psychotherapeuten geht, ist noch offen.