Darum geht es: Fälle von Sozialversicherungsbetrug sorgen in Politik, Medien und Öffentlichkeit regelmässig für Aufregung. 2016 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) allerdings geurteilt, dass für die Überwachung von mutmasslichen IV-Betrügern eine detaillierte gesetzliche Grundlage fehle (siehe Kasten). Deswegen liefert die Politik jetzt ein entsprechendes Gesetz nach.
Umstritten war vor allem, wie weit Sozialdetektive gehen dürfen. Insbesondere der Einsatz von GPS-Peilsendern, die ergänzend zu Bild- und Tonaufnahmen eingesetzt werden sollen, sorgte dabei für Kritik. Damit dürften die Detektive nicht nur observieren, sondern auch überwachen. Mit den Geräten lässt sich nachvollziehen, wo sich eine Person aufhält oder ob sie etwa – trotz vermeintlicher Schwerstbehinderung – Auto fährt.
Das wurde entschieden: Gegen den Willen des Bundesrats hatte sich schon der Ständerat für den Einsatz von GPS-Trackern ausgesprochen – allerdings nur mit richterlicher Genehmigung. Der Nationalrat ist nun seiner Schwesterkammer gefolgt und hiess die Überwachung von Versicherten mit 140 zu 52 Stimmen gut. Er entschied, dass der Einsatz von technischen Geräten zur Standortbestimmung ermöglicht werden soll. Dafür soll eine richterliche Genehmigung nötig sein; für Bild- und Tonaufnahmen jedoch nicht.
Das sagen die Befürworter: Mauro Tuena (SVP/ZH) geisselte IV-Betrug als im «grobem Stile asozial». «Missbräuchliche Erschleicher» von ungerechtfertigten Leistungen hätten nach dem EGMR-Urteil lauthals gejubelt. Tuena verwahrte sich vor Vorwürfen, dass Versicherungen leichtfertig Sozialdetektive einsetzen würden: «Die Hürden für ihren Einsatz sind sehr hoch.» Bei den GPS-Trackern gehe es zudem nur darum, diese an einem Fahrzeug und «nicht etwa auf dem Rücken zu montieren».
Es geht nicht darum, GPS-Tracker auf dem Rücken von Versicherten zu montieren.
Ruth Humbel (CVP/AG) sagte, die technischen Hilfsmittel könnten im Einzelfall sinnvoll sein: «Eine richterliche Genehmigung ist dafür eine vertretbare Einschränkung.» Dies auch bei Bild- und Tonaufnahmen einzufordern, verhindere aber, dass ein Versicherer rasch auf konkrete Hinweise reagieren könne: «Wenn etwa ein Versicherter auf einer Baustelle arbeitet, obwohl er wegen eines vermeintlichen Rückenleidens nicht erwerbsfähig ist, muss sofort gehandelt werden können.»
Das sagen die Gegner: Silvia Schenker (SP/BS) wehrte sich im Rat gegen eine «ungenügende Gesetzesarbeit» der Räte: «Wir sind drauf und dran, unsere Privatsphäre auf dem Altar der Sozialversicherungsträger zu opfern.» Nicht nur IV-Bezüger seien von der Vorlage betroffen, sondern auch Unfall-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung seien im Gesetz eingeschlossen: «Künftig könnte irgendeine Versicherung aufgrund eines Bauchgefühls Menschen observieren lassen.»
Wir sind drauf und dran, unsere Privatsphäre auf dem Altar der Sozialversicherungsträger zu opfern.
Bei der umstrittenen Frage des Einsatzes von GPS-Trackern kam insbesondere aus dem linken Lager lautstarke Kritik. Diverse Redner warnten davor, dass die Rechtsstaatlichkeit geritzt werde. Die Gegnerinnen und Gegner wiesen darauf hin, dass nicht einmal Angehörige terroristischer Organisationen ohne richterliche Genehmigung überwacht werden dürften.
Das sagt der Bundesrat: Der Bundesrat unterstützt die Observation von mutmasslichen IV-Betrügern grundsätzlich. Er möchte aber einzig Bild- und Tonaufnahmen zulassen. Sozialminister Alain Berset warnte im Rat vor unverhältnismässigen und rechtsstaatlich fragwürdigen Eingriffen in die Privatsphäre von Versicherten: «Die Versicherer dürfen nicht grössere Kompetenzen als die Strafverfolgungsbehörden haben».
Für den Einsatz von GPS-Trackern solle deswegen in jedem Fall eine richterliche Genehmigung eingeholt werden. Weiter stellte er fest, dass nicht klar sei, was alles unter «technische Instrumente zur Standortbestimmung» fiele. So könnten auch Drohnen zum Einsatz kommen.