Es brauchte einen langen Atem, bis der Schweizerische Hebammenverband eines seiner wichtigsten Ziele erreichte: Erst 1972 wurde in der Schweiz die erste einheitliche Berufsausbildung für Hebammen ins Leben gerufen.
Kein Wunder, dass der Weg bis zur wissenschaftlichen Anerkennung noch weit war: Ein Studium für Hebammen schien hierzulande lange völlig abwegig. Das hat Eva Cignacco erfahren. Sie war die erste Schweizer Hebamme, die in den 90er Jahren studieren wollte.
Wissen reichte nicht aus, um mitzuhalten
Der Grund: «Ich hatte während meiner Tätigkeit als Hebamme sehr schnell das Gefühl, dass ich gegenüber der Ärzteschaft kein Argumentarium hatte, um mein Handeln zu verteidigen», sagt Cignacco.
«Es gab diese klassischen Diskussionen über die Notwendigkeit eines Dammschnitts oder die Notwendigkeit einer künstlichen Geburtseinleitung. Und da kam ich einfach nicht weiter mit dem Wissen, das mir vermittelt wurde.»
Die meisten Berufskolleginnen reagierten damals auf ihren Wunsch mit Unverständnis: Der Hebammenberuf sei primär ein praktischer Beruf. Da brauche es keine Theorien.
Doch Eva Cignacco liess sich nicht beirren. Sie studierte und doktorierte in Holland. Später forschte und habilitierte sie an der Univeristät Basel. Heute leitet Eva Cignacco die Forschung rund um Geburtshilfe an der Berner Fachhochschule.
Seit 2008 gibt es ein Studium
Denn auf einmal ging es dann doch schnell: Die Schweiz setzte die Bologna-Hochschulreform zügig um. Seit 2008 studieren Hebammen in der Deutschschweiz an Fachhochschulen und schliessen mit einem Bachelor ab.
Innerhalb der Berufsgruppe war die Skepsis gegenüber der Akademisierung am Anfang gross – viele befürchteten, das Handwerk würde zu kurz kommen. Mittlerweile sei das kein grosses Thema mehr, sagt Barbara Stocker, die Präsidentin des Schweizerischen Hebammenverbands.
«Manchmal gibt es Momente, in denen man merkt, dass es noch Skepsis gibt. Aber ich bin der Meinung, dass das in der Schweiz relativ gut und auch relativ schnell über die Bühne gegangen ist. Und ich glaube auch, dass die Hebammen, die schon lange im Beruf sind, auch gemerkt haben, dass sie nicht zweiter Klasse sind.»
Das Ziel einer wissenschaftlich anerkannten Ausbildung für Hebammen ist heute also erreicht. Anders sieht es bei der Forschung aus, die Hebammen leisten, sagt Eva Cignacco.
Nicht nur medizinischer Aspekt wichtig
Die Hebammenforschung selbst hat einen ausgesprochen schweren Stand, da diese Forschungsausrichtung in der Schweiz sich bis anhin noch nicht gut etabliert hat und sich auch von der medizinischen Forschung abzugrenzen hat.
Es gehe nicht ausschliesslich um medizinische Fragestellungen, sondern es stünden auch psychologische und soziale Fragen im Zentrum, sagt Cignacco. So gelte es, etliche Überlappungen mit anderen Fachbereichen wie zum Beispiel auch mit Psychologie und Soziologie zu überwinden. Diese Interdisziplinarität mache es oft schwierig, Forschungsgelder zu akquirieren.
Zahl der Dammschnitte ist gesunken
In Grossbritannien und in Skandinavien wird seit über 50 Jahren Hebammenforschung betrieben. Die Schweiz hinkt in diesem Bereich hinterher. Eva Cignacco hofft, dass sich dies ändert, wenn der Nutzen der Forschung erkannt wird. Ein aktuelles Beispiel sei die Zahl der Dammschnitte, die seit 2012 deutlich gesunken ist:
Diese Reduktion hat sicherlich mit den vielen Diskussionen zu tun, die akademisch gebildete Hebammen ausgelöst haben.
«Diese Reduktion hat sicherlich mit den vielen Diskussionen zu tun, die akademisch gebildete Hebammen ausgelöst haben. Mit all den Studien, die durchgeführt wurden, die den Nutzen dieser Intervention kritisch hinterfragen», so Cignacco.
Um die neuen Forschungsarbeiten ist auch Barbara Stocker, die Präsidentin des Hebammenverbands, froh. Denn es brauche Studien, um den Effekt der Hebammenarbeit für die Gesundheit von Mutter und Kind und damit den volkswirtschaftlichen Nutzen zu belegen.
Der Hebammenberuf ist immer noch mit einem Jöö-Effekt behaftet. Wie viel hinter dem Beruf steckt, wie viel Verantwortung Hebammen tragen, ist vielen nicht bekannt. Ihr Wunsch für die Zukunft: Mehr Anerkennung für die Arbeit und für die Forschung von Hebammen in der Schweiz.