Der Bundesrat stellt aktuell weitgehende Lockerungen der Corona-Massnahmen zur Diskussion. Wie kommt das bei den Spitälern an? Ein Gespräch mit Christoph Henzen, der am Luzerner Kantonsspital den Pandemiestab leitet.
SRF News: Im Kantonsspital Luzern haben Sie im Dezember noch mit Engpässen gerechnet und sich auf schwierige Triage-Entscheide vorbereitet. Das ist nicht eingetroffen. Waren Sie zu pessimistisch?
Christoph Henzen: Das Spezielle an der Omikron-Welle ist, dass wir zwar massiv ansteigende Infektionen, nicht aber Hospitalisationen haben. Im Gegensatz etwa zu Dänemark oder zu England, wo mehr Patientinnen und Patienten hospitalisiert werden mussten. Man könnte fast von einem Swiss-Paradox reden. Das konnten wir in keiner Art und Weise so voraussehen. Aber wir nehmen es noch so gerne an, dass wir uns getäuscht haben.
Der Bundesrat schlägt ja zwei Varianten vor: Die Massnahmen gestaffelt oder auf einen Schlag aufheben. Wie stehen Sie dazu?
Aus medizinischer Sicht glaube ich schon, dass man relativ grosse Schritte zur Normalität machen kann. Auch im Spital sind wir daran, entsprechende Schritte zu planen.
Gibt es Massnahmen, die Sie gerne beibehalten würden, wie zum Beispiel die Maskenpflicht?
Im Spital wird die Maskenpflicht sicher vorderhand bestehen bleiben.
Sie sind Leiter des Pandemiestabs. Ist dieser schon bald überflüssig?
Ja, das kann man wohl sagen. Wir mussten jetzt zwei Jahre lang ziemlich alert und flexibel sein und uns anpassen. Aber wenn sich jetzt der Rückweg zum Normalbetrieb realisieren lässt – und es dürfte in den nächsten sieben Tagen in diese Richtung gehen – dann ist es tatsächlich so. Dann braucht es uns nicht mehr.
Long Covid betrifft vorwiegend Erkrankte, die eher einen leichten Verlauf hatten.
Ein Thema aber, das bleiben wird, ist Long Covid. Also Leute, die auch lange nach ihrer Corona-Erkrankung nicht wirklich auf die Beine kommen. Das Kantonsspital Luzern hat bereits letztes Jahr eine Sprechstunde für Betroffene eingerichtet. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Man kann sagen, dass die Sprechstunden ziemlich voll sind. Es betrifft ziemlich viele Covid-Erkrankte. Und vorwiegend solche, die eher einen leichten Verlauf hatten. Also selten jene, die akut hospitalisiert oder auf der Intensivstation behandelt werden mussten.
Sie mussten in den letzten zwei Jahren ständig auf Veränderungen reagieren. Wie schauen Sie heute zurück?
Was mich am meisten beeindruckt hat, ist die Leistungsbereitschaft, die Flexibilität und der Wille, gemeinsam die Wellen zu bewältigen. Das betrifft alle Mitarbeitenden. Von denjenigen, die die frisch geräumten Zimmer putzen mussten, bis zu den hoch spezialisierten Intensivpflegeleuten. Da haben wirklich alle einen extremen Job gemacht. Das war zuvor – in den 35 Jahren, die ich im Spital verbracht habe – nie notwendig. Zu sehen, dass das möglich ist, ist eine ganz tolle Sache.
Haben Sie das Gefühl, wir sind wirklich am Ende des Tunnels angelangt oder muss man damit rechnen, dass plötzlich wieder eine neue Corona-Variante kommt?
Was ich in den letzten zwei Jahren auch gelernt habe: Immer, wenn man anfängt im Kaffeesatz zu lesen, liegt man schief. Aber ich denke, die Pandemie wird jetzt mehr und mehr zur Endemie übergehen. Das heisst, wenn Omikron vorbei ist, wird wahrscheinlich Delta wieder zunehmen und es wird eine gewisse Anzahl von Ungeimpften geben, die hospitalisiert werden müssen und allenfalls auf die Intensivstationen kommen. Aber es werden sehr viel weniger sein als alles, was wir erlebt haben.
Das Gespräch führte Tuuli Stalder.