Das Problem: «Gopfried Stutz!»: Im Zug wird man manchmal unsanft aus seinen Tagträumen gerissen. Wieder einmal hat der Sitznachbar vergessen, sein Billett für die Fahrt zu lösen. Und verflucht wahlweise sich, die Welt oder die SBB. Noch vor der Abfahrt versucht der Schwarzfahrer in spe, auf der App die richtige Verbindung herauszusuchen und zu bezahlen. Ein Rennen gegen die Zeit.
Sind die Schweissperlen verschwunden und der Puls wieder im grünen Bereich, stellt sich vielen eine Frage: Muss das eigentlich sein? Gibt es im Jahr 2024 nicht die Möglichkeit, einfach einzusteigen und loszufahren? Die ernüchternde Antwort: Nein.
Die Lösung: GPS, Bluetooth, NFC – unsere Handys sind rappelvoll mit Technologie, um unseren Standort zu orten und uns mit Geräten in der Umgebung «kommunizieren» zu lassen. Das vollautomatische ÖV-Ticket wäre heute technologisch problemlos möglich, bestätigt Gian-Mattia Schucan. Er ist Gründer und Co-CEO bei Fairtiq. Das Unternehmen hat für die SBB und andere Transportunternehmen die Technologie für «EasyRide» entwickelt. Schon heute kann Fairtiq unterscheiden, ob jemand aus dem ÖV ausgestiegen ist, und Fahrgäste automatisch auschecken.
Die Zukunft : In der Fachsprache nennt sich das sorgenfreie Ein- und Aussteigen «Be-in, be-out». Das System braucht keinerlei Bedienhandlung seitens der Fahrgäste. «Möglich ist das dank besserem GPS bei geringerem Batterieverbrauch und besseren Algorithmen, die im Hintergrund laufen», erklärt SRF-Digitalredaktor Peter Buchmann.
Dazu kommen sogenannte Bluetooth-Beacons, also Sender, die heute schon in jedem ÖV-Fahrzeug montiert sind. «Diese Beacons senden ein Identifikations-Signal aus, sodass die ‹EasyRide›-App in Zukunft weiss, in welchem Fahrzeug man sich befindet.» Die Technik steht also, und sie wird auch bald Realität. Es gibt zwar noch keine offiziellen Informationen dazu, wann «Be-in, be-out» in der Schweiz eingeführt wird. «Es ist aber nur eine Frage der Zeit», sagt Buchmann.
Die Kritik: Die Digitalisierung schreitet also auch im ÖV unaufhaltsam voran. Das wirft die Frage auf, ob gerade ältere Menschen ohne Smartphones buchstäblich auf der Strecke bleiben. Die Erfahrungen von Fairtiq und der SBB zeichneten aber ein anderes Bild, sagt Buchmann: «Viele Seniorinnen und Senioren nutzen die App regelmässig als Alternative zu den Automaten.»
In der Branche sei man sich aber bewusst, dass es Menschen gebe, die das digitale Angebot aus unterschiedlichen Gründen nicht nutzen möchten – etwa, weil sie ausschliesslich bar bezahlen wollen. Für sie wolle die ÖV-Branche neue Angebote schaffen, schliesst der Digitalredaktor von SRF: «Denn die Automaten sind für die Branche zunehmend ein Problem. Sie sind teuer und rentieren nicht, weil schon heute 75 Prozent der SBB-Fahrkarten über die App gekauft werden.»