- Die Bundesanwaltschaft hat in Bellinzona Anklage gegen den ehemaligen algerischen Verteidigungsminister Khaled Nezzar erhoben.
- Nezzar werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen.
- Die Bundesanwaltschaft hatte zuvor jahrelang ermittelt und das Verfahren gegen Nezzar zwischenzeitlich eingestellt.
Die dem Minister vorgeworfenen Verbrechen stehen im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in Algerien zwischen Regierung und Islamisten in den 1990er-Jahren, wie die Bundesanwaltschaft mitteilt. Namentlich soll Nezzar gegen das Kriegsvölkerrecht gemäss den Genfer Konventionen verstossen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben. Nezzar hatte zu Beginn des Krieges die Militärjunta angeführt.
Gemäss Anklageschrift soll er wissentlich und willentlich Folter und «andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen», Verletzungen der körperlichen und psychischen Unversehrtheit, willkürliche Inhaftierungen und Verurteilungen sowie Hinrichtungen zumindest gebilligt, koordiniert und gefördert haben. Sein Aktionsplan habe das Ziel gehabt, «die islamistische Opposition auszurotten».
Bundesanwaltschaft hat jahrelang ermittelt
Die Bundesanwaltschaft dokumentierte elf Sachverhalte mit jeweils mehreren Tatvorwürfen, die sich zwischen 1992 und 1994 ereignet haben. Die Klägerin wird ihre Anträge nach eigenen Angaben anlässlich der Hauptverhandlung vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona stellen. Für den Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung bis zum rechtskräftigen Urteil.
Die umfangreichen Ermittlungen der Bundesanwaltschaft dauerten Jahre. Im Februar 2022 gab die Behörde bekannt, dass sie die Schlussbefragung mit Nezzar durchgeführt habe. Angehört wurden insgesamt 24 Personen.
Krieg forderte bis zu 200'000 Menschenleben
Informationen zum Fall waren von der in Genf ansässigen Nichtregierungsorganisation (NGO) Trial International veröffentlicht worden, die gegen die Straflosigkeit von Kriegsverbrechen kämpft. Während des auch «décennie noire» genannten Bürgerkrieges zwischen 1992 und 1999 sollen gemäss verschiedenen öffentlichen Quellen bis zu 200'000 Menschen getötet und rund 1.5 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben worden sein. Weitere 20'000 Personen sollen verschwunden sein.
Nezzars Anwälte hatten in der Vergangenheit wiederholt betont, der frühere Verteidigungsminister habe die ihm für den Zeitraum zwischen Januar 1992 und Januar 1994 zur Last gelegten Taten immer bestritten. Die Kläger würden sich auf unüberprüfbare Quellen im Internet stützen. Nezzar werde nun auch als Komplize und nicht mehr als Täter angesehen.
Strafbar unabhängig vom Tatort
2017 hatte die Bundesanwaltschaft das Verfahren mit der Begründung eingestellt, dass Anfang der 1990er-Jahre in Algerien kein bewaffneter Konflikt bestanden habe, woraufhin die klagenden Parteien beim Bundesstrafgericht Beschwerde gegen die Einstellungsverfügung einreichten. Das Bundesstrafgericht gab schliesslich 2018 seine Entscheidung bekannt, die Einstellung des Verfahrens durch die Bundesanwaltschaft aufzuheben, sodass diese die Untersuchung wieder aufnehmen musste.
Trial International bezeichnete die Anklage am Dienstag als «historischen Schritt im Kampf gegen die Straffreiheit für Verbrechen, die während des ‹Schwarzen Jahrzehnts› begangen wurden». Nezzar werde der dritte Angeklagte sein, der vor dem Bundesstrafgericht erscheinen müsse, um sich für seine Beteiligung an internationalen Verbrechen zu verantworten.