Das Kinderspital Zürich meldet eine Zunahme der Fälle von misshandelten Kindern im Jahr 2020. Von 544 Fällen im Jahr 2019 stieg die Zahl auf 592 an, was einer Zunahme von zehn Prozent entspricht. In einer Medienmitteilung schreibt das Spital, dass die Zunahme Pandemie-bedingt sei.
Konkret sieht Anja Böni, Oberärztin in der Kinderschutzgruppe und Opferberaterin, gewisse Risikofaktoren, die durch die Folgen der Pandemie – Shutdown, Homeoffice, vorübergehende Schulschliessungen und das Wegfallen von Grosseltern als Hütepersonen – verstärkt wurden.
Weniger Geld – mehr Stress
Einer dieser Faktoren ist die finanzielle Situation der Familien. Häufig wurde sie durch Kurzarbeit oder Arbeitsplatzverlust der Eltern verschärft. «Das führt zu vermehrtem Stress in einer Familie», sagt Böni. Zu grösserem Stress führt auch ein weiterer Risikofaktor: wenn die ganze Familie den ganzen Tag zusammen verbringen muss, wie es im März 2020 häufig der Fall war. «Für Eltern ist es in dieser Situation schwierig, Pausen von den Kindern zu machen», sagt Böni. Das könne zu einer Eskalation führen.
Die erschreckenden Zahlen des Zürcher Kinderspitals
Zu den Formen der Misshandlungen werden körperliche Misshandlung, sexuelle Misshandlung, Vernachlässigung und psychische Misshandlung gezählt, sowie das Münchhausen-Stellvertretersyndrom, das allerdings in diesem Zusammenhang vernachlässigbar sei, wie Böni sagt. Einer bestimmten Schicht zuordnen könne man Kindesmisshandlungen nicht, so die Ärztin, und die Dunkelziffer sei hoch.
Bei Fällen von Kindesmisshandlung nimmt das Spital auch die Beweissicherung vor, vor allem bei körperlicher oder sexueller Misshandlung. Die Verletzungen werden für allfällige Verfahren dokumentiert. «Bei anderen Verdachtsfällen ist das oberste Ziel: auf die Familie zugehen und Hilfe anbieten», sagt die Expertin.
Rechtzeitig Hilfe holen
Nun hat auch das Jahr 2021 wieder mit einem Teil-Shutdown begonnen. Böni sagt: «Da wir wissen, dass es schwierig werden kann, wenn Familien auf kleinem Raum zusammensitzen, ist es wichtig, dass man als aussenstehende Person das Gespräch sucht, wenn man merkt, der Stress in einer Familie nimmt zu.» Sie ruft auch die Eltern dazu auf, sich beim Elternnotruf Hilfe zu holen, wenn sie merken, dass sie an ihre Grenzen kommen.