An der nationalen Klimademo in Bern gingen an die 100'000 Menschen auf die Strasse. Das ist fast zwei Jahre her. Seither hat sich die Bewegung entwickelt. Enttäuscht von der Politik, sind viele Aktivsten:innen extremer geworden. Sie verweigern die Zusammenarbeit mit der Politik, fordern eine radikale Abkehr vom System.
So die Vollzeitaktivistin Michelle Reichelt aus Kaufdorf (BE). «Das jetzige System ist exklusiv, es beruht auf Privilegien und funktioniert nicht», sagt die Aktivistin gegenüber der «Rundschau». Ihren Weg, das Klima zu retten, sieht sie im physischen Widerstand. Sie will «Zerstörung direkt vor Ort verhindern» und beteiligt sich an Besetzungen und illegalen Aktionen.
Neue Lebensformen aufbauen
Reichelt hat ihren Job als Lehrerin an den Nagel gehängt, um sich ganz dem Systemwandel zu widmen. Die junge Frau reist an Besetzungen und Camps im In- und Ausland und versucht sich an neuen Formen des Zusammenlebens. Sie kritisiert die globale Zerstörung von Lebensräumen und den verschwenderischen Umgang mit Ressourcen.
Finanziell wird sie von ihren Eltern unterstützt. Ihr Partner, Jann Kessler, sagt, er rede mit seinem Vater darüber, «ob er einen Teil seiner Pensionskasse der Klimabewegung zur Verfügung stellen könnte, damit mehr Menschen diesen Aktivismus leben können».
Junge GLP kritisiert Extremismus
Die Forderung nach einem Umsturz des Systems und illegale Aktionen – das schrecke junge Menschen ab, sich zu engagieren und schwäche die Bewegung. Das sagt Tobias Vögeli, Co-Präsident der Jungen GLP. Auch er sei Teil der Klimastreikbewegung. Die zunehmende Radikalisierung sieht er als Gefahr für die Bewegung: «Sie verliert den Rückhalt in der Bevölkerung.» Dort würden Besetzungen und illegale Aktionen nicht goutiert.
Auch Maya Tharian, die zu Beginn stark im Klimastreik engagiert war, befürchtet, dass die Bewegung kleiner wird. Es fehle die «Bereitschaft, Andersdenkende auszuhalten», sagt sie. Die fühlten sich ausgeschlossen und blieben den Sitzungen fern.
Unter das Stichwort Klimastreik würden zudem immer mehr linke Anliegen wie beispielsweise Feminismus und Antirassismus gemischt. Das hält sie für falsch. Es müsse wieder mehr ums Klima gehen.
Zankapfel CO2-Gesetz
Die Zerrissenheit der Bewegung zeigt sich auch am CO2-Gesetz, über welches die Schweizer Stimmberechtigten am 13. Juni abstimmen. Während Sektionen wie Waadt, Genf und Neuenburg Unterschriften für das Referendum gegen das Gesetz sammelten, setzen sich jetzt mehrere Regionalgruppen des Klimastreiks in der Deutschschweiz und dem Tessin gemeinsam für ein Ja ein. Auf nationaler Ebene hat die Bewegung die Stimmfreigabe beschlossen.
Beide Seiten betonen letztlich, die Bewegung lasse sich nicht spalten. Zu wichtig sei ihnen allen das gemeinsame Anliegen, den Klimawandel zu stoppen. Reichelt sagt: «Wir sind die letzte Generation, die etwas verändern kann. Danach ist es zu spät». Das gemeinsame Ziel ist definiert: netto null bis 2030. Das wird erneut am 21. Mai schweizweit am sogenannten Aktionstag «Strike for future» gefordert.