Ein steiler Hang, hoch über Bergün, an einem trüben Tag mit Niesel und Nebel Ende Juni. Und: eine erfreute Forscherin. Kathrin Streit von der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL begutachtet die Bäumchen, die im vergangenen Herbst gepflanzt worden sind: «Am meisten Freude habe ich an der Traubeneiche, weil sie am weitesten ausserhalb von ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet gesetzt worden ist und weil sie hier gut angewachsen ist.»
Was macht eine Traubeneiche aus dem Pariser Becken, die sehr heisses und trockenes Wetter gewohnt ist, auf einer Höhe von über 1600 Metern über Meer? Kathrin Streit erklärt: «Wir möchten herausfinden, ob die Eiche da schon wächst, wo ihr das Klima eigentlich gegen Ende des Jahrhunderts zusagen könnte.» Das Ziel sei es, eines Tages auf dieser Höhe Samenbäume zu haben. «Damit die Bäume sich verjüngen können, wenn es hier dann wirklich so warm ist, wie in den Klimamodellen berechnet wird.»
Wie kann man die Schweizer Wälder fit machen für die Zeit gegen Ende des Jahrhunderts, wenn es bis zu drei bis vier Grad wärmer und im Sommer trockener ist als heute? Das ist Gegenstand eines gross angelegten Forschungsprojekts, auf der Suche nach Klimawandel-tauglichen Bäumen.
Nadel- und Mischwälder könnten zu Laubwäldern werden
Die Forschung rechnet damit, dass sich die Vegetations-Stufen nach oben verschieben werden – je nach Klimaentwicklung um 500 bis 700 Höhenmeter. Das bedeutet, dass heutige Nadel- oder Mischwälder zu Laubwäldern werden könnten.
Die Laubbäume «drücken» nach oben, beispielsweise wärmeliebende Baumarten wie Eichen oder auch Kirschbäume. So wurden Kirschbäume bereits auf einer Höhe von 1000 Metern gesichtet, während sie gewöhnlich nur bis 700 Meter über Meer auftauchen. Fachleute sehen in solchen Bäumen Vorboten des Klimawandels.
In den nächsten 30 bis 50 Jahren macht man sich darum auf der Suche nach dem Wald der Zukunft. Auf fast 60 Testflächen in der ganzen Schweiz werden derzeit über 55'000 Bäumchen gepflanzt. Dabei arbeitet die eidgenössische Forschungsanstalt WSL mit dem Bafu und kantonalen Forstdiensten und Forstbetrieben in der ganzen Schweiz zusammen. Die entscheidende Frage ist dabei: Welche der Baumarten, die gegen Ende des 21. Jahrhunderts an einem Standort als geeignet gelten, können dort bereits heute gedeihen?
Klar ist: Der Wald wird in Zukunft anders aussehen. Auch in Bergün, auf der höchstgelegenen Testfläche. Der Sturm Vaia hat hier Ende Oktober 2018 grosse Schäden verursacht, besonders unter den stark vertretenen Fichten, die mit ihren flachen Wurzeln leichter herausgerissen werden können.
Fundierte Empfehlungen für Baumarten werden wir wohl erst in 10 bis 20 Jahren geben können
Kathrin Streit ist die Co-Leiterin des Projekts «Testpflanzungen zukunftsfähiger Baumarten». Sie sagt: «Wir sind hier in einem Schutzwald. Der Grund, warum wir diese Fläche überhaupt bepflanzen durften, ist, dass es hier einen grossen Sturmschaden gegeben hat.» Es sei wirklich an der Zeit, dass man andere Baumarten einbringe, gerade wenn man bedenke, dass solche Stürme häufiger werden. «Weil die Fichte nun auch immer mehr Probleme mit dem Borkenkäfer hat, sollte man vor allem die Vielseitigkeit des Waldes verändern. Und wenn die Buche oder die Traubeneiche hier gedeihen könnte, wäre das natürlich super.»
Vielerorts in der Schweiz hat der Wald eine solche Schutzwald-Funktion und schützt vor Lawinen, Steinschlag, Murgängen oder Überschwemmungen. Im Bergkanton Graubünden trifft dies auf 60 Prozent der ganzen Waldfläche zu.
In Anbetracht des Klimawandels sei es am wichtigsten, eine breite Palette von Baumarten in einem Wald zu haben, damit dieser auch in Zukunft die Aufgaben erfüllen könne, die man von ihm erwarte – als Schutzwald, als Holzproduzent oder als Erholungsgebiet. Allerdings geht das naturgemäss nicht von heute auf morgen. Das Projekt, an dem Kathrin Streit schon seit ein paar Jahren arbeitet, braucht einen langen Schnauf: «Fundierte Baumarten-Empfehlungen werden wir wohl erst in 10 bis 20 Jahren geben können.»