Sozial Schwache sollen schneller von einer Corona-Impfung profitieren. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Universitätsspitals Basel und der ETH Zürich. Diese zeigt: Das Virus trifft benachteiligte Quartiere besonders stark. In Basel wurden dafür mehr als 400 positive Befunde sequenziert, um den Virenstamm zu bestimmen. Das erlaubt den Forschern genauere Rückschlüsse auf die Übertragungswege des Virus.
Die Erkenntnis: In den bessergestellten Quartieren, wo die Bevölkerung sich in die eigenen vier Wände zurückziehen konnte, erfolgte die Übertragung des Virus im Quartier selbst. In den ärmeren Quartieren dagegen sind mehr Virus-Varianten feststellbar.
Mobilität als Risiko
Für Studienautor Adrian Egli ist klar: Das ist eine Folge der höheren Mobilität dieser Menschen. Putzequipen, Verkaufs- und Pflegepersonal: Diese Berufsleute hätten keine Möglichkeit für Arbeit im Homeoffice, sagt der Basler Mikrobiologe. Für sie bestehe ein erhöhtes Risiko, sich bei der Arbeit anzustecken und das Virus dann weiterzutragen.
Die Konsequenz dieser Analyse ist für Egli klar: «Die Leute mit tiefen Einkommen, die in dicht besiedelten Quartieren leben, muss man auch impfen, die darf man nicht vergessen.»
Impfstratege offen für Idee
Menschen mit tiefen Einkommen können seltener im Homeoffice arbeiten, sind mobiler und damit stärker gefährdet. Sollten sie Vortritt erhalten bei der Impfung? Die Impfstrategie des Bundes sieht dies bislang nicht vor. Sie priorisiert Risikogruppen wie Senioren, das Gesundheitspersonal und Menschen mit Vorerkrankungen.
Ausgearbeitet hat die Impfstrategie die Eidg. Kommission für Impffragen. Präsident Christoph Berger hat Verständnis für die Idee eines priorisierten Zugangs für Menschen bestimmter Berufs- und Einkommensgruppen. Zuerst müssten aber die klassischen Risikogruppen geimpft werden.
Zudem müsste erwiesen sein, dass die Impfung auch die Übertragung des Virus verhindere: «Sobald sich alle gesunden Erwachsenen impfen können, kann man sich durchaus überlegen, bestimmte Berufsgruppen oder Menschen mit hoher Mobilität allenfalls vorzuziehen.» Dies sei für ihn aber nur denkbar, wenn es sich mit vernünftigem Aufwand durchführen lasse und sehr viel Impfstoff zur Verfügung stünde.
Gleiches Bild in Genf
Ähnlich wie in Basel wurde auch in Genf untersucht, welche Bevölkerungsschichten besonders stark unter der Pandemie leiden. Auch in Genf war nicht die ganze Stadt von der Pandemie gleich stark betroffen. Eine Datenanalyse des Universitätsspitals Genf und der ETH Lausanne zeigt: Das Coronavirus traf im Kanton Genf vor allem die wirtschaftlich schwächeren Gebiete massiv.
3355 positive Corona-Tests der ersten Welle hat Studienautor David de Ridder lokalisiert. Die Daten wurden mit soziodemografischen Angaben für das betreffende Quartier verknüpft, etwa zu durchschnittlichen Mietkosten, Einkommen, zur Arbeitslosen- und Ausländerquote sowie zur Einwohnerdichte.
Hartnäckige Infektionsherde
Dabei zeigten sich Cluster in den ärmeren Quartieren. Mehr noch: Die Studie macht sichtbar, dass sich diese Infektionsherde hartnäckig hielten. Noch nach zwei Monaten waren fast 85 Prozent der Cluster unverändert vorhanden. In den gutsituierten Quartieren war das nur noch für 30 Prozent der Cluster feststellbar.
Bedeutet das, dass die ärmeren Quartiere für die Verbreitung des Virus verantwortlich sind? David de Ridder widerspricht: «Diese Leute sind nicht verantwortlich für die Verbreitung, sondern deren Opfer, sie leben in einem Umfeld, das die Verbreitung des Virus begünstigt.»