Der Tessiner Regierungspräsident Norman Gobbi von der Lega ist auch Vorsteher des kantonalen Justizdepartements. Diese Funktion bringt ihm besonders von linksorientierten Politikern immer wieder Kritik ein, sein Departement sei in Sachen Aufenthaltsbewilligungen viel zu streng.
Es gebe zu viele abschlägige Entscheide. Gobbi kontert jeweils, dass alles rechtens laufe. Fakt ist: Das Tessiner Parlament beschloss 2015, dass alle Ausländer, die im Tessin leben wollen, einen Strafregisterauszug vorlegen müssen. Doch diese Praxis verstösst seit jeher gegen die bilateralen Verträge.
Massnahme gegen organisierte Kriminalität
Das weiss Gobbi. Er sagt dazu: «Das hilft uns, Leute zu erkennen, die eine schwere Straftat begangen haben. Ohne diesen Auszug wäre das für uns unmöglich. Das ist auch eine Schutzmassnahme gegen den Einfluss der organisierten Kriminalität, die immer mehr Fuss fasst in der ganzen Schweiz.»
Darum macht der Kanton Tessin also seit fünf Jahren einen Sololauf, widersetzt sich geltendem Recht – und nichts passiert. Dazu Lukas Rieder, Sprecher des Staatssekretariats für Migration (SEM): «Das SEM hat die Tessiner Behörden bereits 2015 informiert, dass diese Praxis dem Freizügigkeitsabkommen widerspricht. Und deshalb hat das SEM auch die Tessiner Behörden dazu aufgerufen, auf das Einholen dieser Strafregisterauszüge zu verzichten.»
Mögliche Lösung, die für alle Kantone gilt
Nur: Dieser Aufruf blieb in Bellinzona ungehört. Vielmehr legten die Tessiner in Bern mit Standesinitiativen nach. Darin wird gefordert, dass diese Praxis aufrechterhalten werden darf. Darauf habe Bern reagiert, sagt Rieder.
«Der Bundesrat hat eine Analyse vorgenommen und dabei festgestellt: Es gibt eine mögliche Lösung.» In der EU gebe es ein Programm, das den Austausch von ebensolchen Strafregistereinträgen erlaube, so der SEM-Sprecher. «Die Schweiz versucht zu prüfen, ob eine Teilnahme an diesem Programm das Anliegen des Tessins erfüllen würde, ohne gleichzeitig die Regeln des Freizügigkeitsabkommens zu verletzen.»
Der Druck aus Bellinzona könnte also dazu führen, dass das Einholen von Strafregisterauszügen bald legal ist. Und zwar nicht nur für den Kanton Tessin, sondern für alle Kantone.
Wäre dies im Kampf gegen das organisierte Verbrechen wirklich dienlich, wie das der Kanton Tessin glaubhaft machen will?
Ja, heisst es dazu auf Nachfrage vonseiten der Bundesanwaltschaft. Das Einholen der Strafregisterauszüge sei eine der Präventivmassnahmen im Kampf gegen das organisierte Verbrechen.