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Kontroverse um den «Mohrenkopf»
Aus 10 vor 10 vom 11.06.2020.
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Kontroverse um Schokoküsse «Mit dem ‹Mohrenkopf› verspeist man Afrika symbolisch»

Bernhard C. Schär erklärt, wie der «Mohrenkopf» zu einer Süssigkeit wurde – und warum es höchste Zeit ist, sich von diesem Begriff zu verabschieden.

Bernhard C. Schär

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Bernhard C. Schär ist Kolonialhistoriker an der ETH Zürich. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Rolle der Schweiz während der europäischen Expansion.

SRF News: Ist es rassistisch, das Wort «Mohrenkopf» zu verwenden?

Bernhard C. Schär: Auf jeden Fall. Selbst im Idiotikon der Schweiz, dem wichtigsten Referenzwerk der Schweizer Mundartforschung, ist klar nachzulesen, dass der Begriff «Mohr» ein Synonym für «Neger» ist. Er steht für Menschen aus Afrika und wird im Zusammenhang mit Rückständigkeit und Schmutz verwendet.

Wie kam es zum «Mohrenkopf»?

Die Figur des «Mohrenkopfes» ist im Spätmittelalter entstanden, als die Christen die spanische Halbinsel von den nordafrikanischen, dunkelhäutigen Mauren zurückerobert haben. In diesem Krieg begannen christliche Adelige, ein neues Wappen für sich zu erzeugen: nämlich den abgeschlagenen Kopf ihrer Feinde. Das war die Erfindung des «Mohrenkopfes». So wurde er zum Wappenzeichen, wie wir ihn bis heute in der Berner Mohrenzunft finden oder auch mehreren Gemeindewappen in der Schweiz.

Der «Mohrenkopf» ist also eine Art Siegestrophäe?

Der «Mohrenkopf» ist eine Eroberungstrophäe. Jeder Krieg ist auch ein Krieg um Symbolik, es ist Teil einer christlichen Demütigung des Islams im Spätmittelalter. Das stammt aus dieser Zeit.

Wie hat sich die Bedeutung des «Mohrenkopfes» verändert?

Mit dem Sklavenhandel war die Vorstellung verbunden, dass die Afrikaner nicht auf derselben Stufe stehen wie die Europäer, dass sie nicht Mitchristen sind und dass man sie deshalb ausbeuten kann. Und beim wissenschaftlichen Rassismus kam die Idee auf, dass afrikanische Menschen evolutionär rückständig sind und näher beim Affen als die Europäer – und deshalb primitiver.

Diese Vorstellungen haben sich niedergeschlagen in der Art und Weise, wie man diese Figuren gezeichnet hat: mit akzentuierten «Rassenmerkmalen» wie sehr dunkler Haut, schwülstigen Lippen, und zum Teil auch fliehender Stirn, die darauf hindeuten soll, dass man die Nähe zu den Primaten in diesen «Rassen» erkennen kann.

Wie wurde der «Mohrenkopf» zu einer Süssigkeit?

Das hat mit dem Aufkommen der Konsumgesellschaft zu tun, im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Man versuchte, ein breiteres Publikum anzusprechen. Vor allem mit Produkten exotischer Herkunft. Also Zigarren, aber auch mit Seife, die angeblich dreckige, schwarze Menschen hell und sauber machen kann.

Was steckt hinter dem Gedanken, dass man eine andere Rasse nimmt – und isst?

Es war Teil einer kolonialen Kultur, die zum Ausdruck brachte, dass Afrika kein Kontinent ist, der sich selbst gehört, sondern ein Lieferant von Rohstoffen und Arbeitskräften. Letztlich ist Afrika für die Interessen der Europäer da, aber auch zum Genuss und zur Belustigung der Europäer. Und deshalb gab es solche Produkte wie den «Mohrenkopf» – als Ausdruck einer Kultur, die Afrika nicht nur ökonomisch ausbeutet, politisch beherrscht, sondern auch symbolisch verspeist.

Herr Dubler, der «Mohrenköpfe» herstellt, sagt, das habe nichts mit Rassismus zu tun. Es sei einfach eine Tradition.

Es ist in der Tat eine Tradition. Aber die Tradition ist verletzend und demütigend.

Warum sollte man aus Ihrer Sicht nicht an solchen Traditionen festhalten?

In einer demokratischen Gesellschaft handeln wir Traditionen immer wieder neu aus. Wir probieren, eine Kultur zu schaffen, in der sich alle wiedererkennen können.

Herr Dubler sagt, das sei eine scheinheilige Debatte: Man strafe ihn jetzt ab wegen eines Wortes, Afrika werde jedoch weiterhin ausgebeutet. Während er sich bemühe, fairen Kakao für sein Produkt einzukaufen, nur Freilandeier verwende und so weiter. Zählt für Sie diese Argumentation nicht?

Ja natürlich zählt das. Aber da würde ich sagen: Wenn er schon all das macht, dann kann er doch auch den Namen ändern. Das wäre dann noch das Tüpfchen auf dem i.

Das Interview führte Stephan Rathgeb.

10vor10, 11.06.2020, 31:50 Uhr ; 

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