Die rituellen Medienkonferenzen nach Sitzungen des Bundesrates haben für gewöhnlich den Zweck, dass Medienleute gefällten Entscheiden auf den Grund gehen und Detailfragen stellen können.
Heute jedoch haben die Journalistinnen und Journalisten im Wesentlichen zu ergründen versucht, was der Bundesrat denn überhaupt meint mit dem, was er beschlossen hat. Als kommunikative Meisterleistung wird die Präsentation nicht in die Geschichte eingehen. Und dass Bundespräsident Ignazio Cassis nach einer kurzen Erklärung den Abgang gemacht und die Erläuterung Fachexpertinnen und -experten überlassen hat, dürfte seinem Ansehen auch nicht genützt haben.
Unabhängigkeit als neutrale Vermittlerin wahren
Die Verwirrung im Medienkonferenzsaal liegt darin begründet, dass der Bundesrat zwar in weiten Teilen die gleichen Massnahmen gegen Aggressor Russland ergriffen hat wie die EU, diese aber nicht gleich benennen will. Das hängt damit zusammen, dass die Schweiz von Russland nicht als Teil des EU-Sanktionsregimes wahrgenommen werden möchte, um ihre Unabhängigkeit als neutrale Vermittlerin zwischen den Konfliktparteien bewahren zu können.
Sie führt damit einen Weg weiter, den sie vor acht Jahren eingeschlagen hat. Als die EU wegen der Annexion der Krim die ersten Sanktionen gegen Russland verhängte, lehnte der Bundesrat ein formelles Mitmachen ab und erliess stattdessen eine Verordnung mit dem sperrigen Titel: «Massnahmen zur Vermeidung der Umgehung internationaler Sanktionen im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine».
Ob die Strategie taugt, wird sich zeigen
Heute hat der Bundesrat die Massnahmen der Verordnung verschärft, um zum Beispiel zu verhindern, dass russische Politiker ihr Vermögen auf Schweizer Banken parkieren. In der Wirkung kommt das praktisch auf das Gleiche hinaus wie das, was die EU mit ihren Sanktionen tut. Aber man sagt ihm bewusst anders. «Der Bundesrat hat versagt, Haltung zu zeigen», meint dazu der Präsident der Grünen, Balthasar Glättli. Als «verantwortungslos» bezeichnet die SP diese Taktik.
Ob die Strategie des Bundesrates tatsächlich aufgeht und Russland die Schweiz weiterhin als neutrale Mediatorin akzeptiert, ist alles andere als garantiert.
Immerhin kann der Bundesrat darauf verweisen, dass die Schweiz in den vergangenen acht Jahren von allen Parteien als Vermittlerin akzeptiert worden ist. Das Treffen des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit US-Präsident Joe Biden im Juni des letzten Jahres hat bekanntlich auf Schweizer Boden stattgefunden. Auch bei der Sonderbeobachtungsmission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa OSZE in der Ukraine spielt die Schweiz eine wesentliche Rolle. Diese möchte sie unbedingt behalten.
Als markige Verurteilung der russischen Invasion taugt die bundesrätliche Strategie nicht. Ob sie zur Konfliktlösung beitragen kann, wird man erst in ein paar Monaten oder gar Jahren überprüfen können.