In der Schweiz gibt es viele Menschen, die durch familiäre oder freundschaftliche Verbindungen vom Krieg in der Ukraine besonders betroffen sind. Einer davon ist der grünliberale Nationalrat Martin Bäumle, dessen Frau Ukrainerin ist.
SRF: Martin Bäumle, Ihre Frau stammt aus der Ukraine, Sie haben dort viele Bekannte und Freunde. Was bedeutet dieser Krieg für Sie und für Ihre Frau?
Martin Bäumle: Es ist für uns eine ganz schwierige Situation, weil wir hier in Sicherheit sind, während unsere Freunde und Verwandten dort sind und leiden. Sie können nicht weg, oder wollen auch nicht weg. Aber wir haben den grossen Vorteil, dass wir mit ihnen in Kontakt treten können, sei es über Telefon oder online.
Das Volk ist geeint wie eine Eins, auch mit ihrem Präsidenten, der heldenhaft hinsteht und sagt: Ich bin hier und ich bleibe hier.
Sie sind also täglich in Kontakt mit den Verwandten und Bekannten in der Ukraine?
Ja, das sind wir. Wir wollen sie auch aufmuntern, und wir haben auch diskutiert, ob sie wegwollen, ob wir etwas organisieren können. Aber ganz im Gegenteil: Man merkt den Widerstand in diesem Volk, die Überzeugung, zusammenzustehen, zu kämpfen, im Hintergrund zu helfen, um diese brutale Aggression abzuwehren. Das Volk ist geeint wie eine Eins, auch mit ihrem Präsidenten, der heldenhaft hin steht und sagt: Ich bin hier und ich bleibe hier.
Die Leute wollen nicht weg. Sie haben aber auch gesagt, viele können nicht weg. Wieso nicht?
Viele Leute können nicht weg, weil sie zu weit im Osten des Landes leben, die Fluchtwege sind auch nicht risikolos. Und wenn man keinen Pass hat, ist es ebenfalls schwierig. Die Männer dürfen nicht weg, die meisten wollen aber auch ihren Dienst leisten, Männer und Frauen. Natürlich sind auch die Kinder betroffen, aber die Kinder allein will man auch nicht gehen lassen.
Das Volk will auf beiden Seiten den Krieg nicht, da bin ich überzeugt.
Es sind ja eigentlich Brüdervölker, die Ukrainer und die Russen.
Ja, es sind Brüdervölker, die meisten Menschen haben auch Verwandte in beiden Völkern. Das Volk will auf beiden Seiten den Krieg nicht, da bin ich überzeugt. Es gibt jetzt auch immer mehr Abwehr zwischen den Völkern, unter anderem auch, weil die Russen völlig fehlinformiert sind. Es gibt eine Verhärtung der Fronten, die sich schon stark gegen Putin richtet, aber vor allem auch gegen Lukaschenko, der sein Land für diesen gemeinen Angriff zur Verfügung gestellt hat. Ohne Weissrussland wäre es viel schwieriger, zum Beispiel Kiew anzugreifen.
Sie haben sich noch Anfang letzter Woche gegen Sanktionen gegen Russland ausgesprochen. Immer noch?
Putin hat jetzt eine rote Linie überschritten, grundlos und mit falschen Aussagen, das ist inakzeptabel. Da muss auch die Schweiz als neutrales Land sagen: Stopp! Das geht nicht mehr. Auf der anderen Seite müssen wir aber gesprächsbereit bleiben, uns anbieten, auch vor Ort, nach Moskau und nach Kiew gehen.
Man hat Russland und Putin über Jahre hinweg zu wenig ernst genommen. Man hat auf der einen Seite beim Gashandel voll mitgemacht, aber man hat nicht an einem gemeinsamen europäischen Haus gebaut.
Sie haben zwei Tage vor dem Einmarsch in den Medien gesagt: «Die aggressive Rhetorik der USA und der Briten hat Putin eventuell eher noch dazu gedrängt, Dinge zu tun, die er gar nicht unbedingt wollte.» War der Westen schuld, dass Putin einmarschiert ist?
Diesen Satz würde ich immer noch stehen lassen. Man hat Russland und Putin über Jahre hinweg zu wenig ernst genommen. Man hat auf der einen Seite beim Gashandel voll mitgemacht, aber man hat nicht an einem gemeinsamen europäischen Haus gebaut. Und man hat in den letzten Wochen auf beiden Seiten intensive Kriegsrhetorik betrieben, das war nicht der richtige Weg. Aber egal, was der Westen in den letzten Jahren falsch gemacht hat, auch was in der Ukraine nicht optimal lief, das rechtfertigt diesen Angriff von Putin auf keinen Fall.
Das Interview führte Urs Leuthard.