Kennengelernt haben sie sich in einem Café in den Gebirgen des Himalayas: Olga und Saurabh. Sie, die den Sinn des Lebens in den Tiefen des indischen Tanzes fand, ist aus der Ukraine. Er, der mit Youtube-Videos zum Thema Rassismus versuchte, einen Fuss in die Filmbranche zu setzen, ist aus Indien.
Es ist Frühling. Zusammen wollten sie ein neues Leben in der Heimatstadt Olgas, in Kiew, beginnen. Doch dann brach der Krieg aus. Sirenen. Schutz suchen in U-Bahnstationen. Wieder Sirenen. «Die Situation war belastend. Die berufliche Zukunft verschwunden», sagt Saurabh. Eine Flucht in ein anderes Land unumgänglich.
Mitsamt Katze kamen sie nach einer anstrengenden Flucht nach Bern in eine Dachzimmerwohnung. Per Zufall. Ein Filmemacher wurde aufmerksam auf ihren Facebook-Post, in dem sie nach einer Bleibe suchten.
Kurzerhand überliess er ihnen für drei Monate das Atelier. Ein Ort voller Kreativität, offenen Menschen, ein urbanes Umfeld. Oder wie Saurabh sagt: «Zusammen kochen, diskutieren, rauchen.»
Lieber bin ich hungrig, als einer Arbeit nachzugehen, die nicht zu mir passt.
Nach drei Monaten war Schluss. Eine Wohnung in Worb wurde ihnen vermittelt. Plötzlich friedliche Einöde, Traktoren, Postautos. «Ich hatte noch nie einen Garten», meint Olga. Sie sind froh um ihr notdürftig, aber liebevoll eingerichtetes Zuhause auf Zeit.
Die Menschen grüssen sie auf der Strasse, von der reformierten Kirche gibt es günstig Nahrungsmittel, Olga darf im Tanzstudio einer Nachbarin ihre indischen Tänze trainieren.
Es ist Sommer. Saurabh startet bald ein Austauschsemester an der Fachhochschule in Chur. Multimediale Produktion. Einer Arbeit nachgehen, um nicht nur von der Sozialhilfe zu leben, möchte er nicht.
Wir hatten vorher ein Leben, berufliche Träume. Die geben wir nicht einfach wegen des Krieges auf.
«Lieber bin ich hungrig, als einen Job zu tun, der nicht zu mir passt.» Er weiss, dass er mit dieser Aussage auch Unverständnis bei vielen hervorruft. «Aber wir hatten vorher ein Leben, berufliche Träume. Die geben wir nicht einfach wegen des Krieges auf.»
Olga arbeitet an einem Videoprojekt, welches ihre Leidenschaft zum indischen Tanz, aber auch den Krieg in ihrem eigenen Land aufzeigen soll.
Bis tief in die Nächte hat sie dafür gearbeitet. Detaillierte Scherenschnitte gebastelt für ein Licht-Schatten-Spiel, Tänze eingeübt, gefilmt, eingesprochen. Das Video schickt sie ein für einen Wettbewerb des indischen Kulturdepartements.
Die Beiden wirken glücklich. Nur Olga macht sich Sorgen wegen ihrer Mutter, die sich noch immer in der Ukraine befindet. «Sie lebt alleine. Hat Probleme mit dem Blutdruck und den Augen.»
Meine Rückreise nach Kiew hat mich psychisch aus der Balance geworfen. Ich vermisse meine Heimat so sehr.
Sobald wie möglich will Olga sie besuchen. «Und für uns noch ein paar Winterkleider von zu Hause holen.»
Es ist Herbst. Saurabh beginnt sein Studium und zieht dafür nach Chur. Er strahlt, ist aufgeregt auf das Neue. Das Austauschsemester ist für ihn eine riesige Chance. Ein Lichtblick im riesigen dunklen Schatten, den der Krieg wirft. «Die ersten Monate nach Beginn des Krieges misstraute ich allen. Nun spüre ich, dass Menschen es hier gut mit mir meinen.»
Und Olga ist plötzlich in Kiew. «Meiner Mutter ging es gesundheitlich so schlecht, niemand war da für sie, ich musste gehen», erklärt Olga wenige Tage später. 48 Stunden Fahrt im Bus hat sie hinter sich.
Der kurze Besuch sei schön, aber auch schmerzhaft gewesen. «Ich fühle mich psychisch unausgeglichen. Meine Heimat vermisse ich so sehr.» Halt findet sie in ihrem Videoprojekt, das nun fertig ist. «Es hilft mir, Frieden zu schliessen mit mir selbst. Es ist wohl wie eine Psychotherapie.»