«Cleared for take off!» – Startfreigabe: Pilotenanwärter Julian Günther drückt die Schubhebel im Cockpit der zweimotorigen Propellermaschine nach vorne. Wenige Sekunden später hebt das Flugzeug von der Piste des Flughafens Grenchen (SO) ab.
Günther startet mit Fluglehrer Nik Studer zu einem Schulungsflug. «Jedes Mal, wenn ich abhebe, kribbelt es in meinem Bauch, ein grossartiges Gefühl», schwärmt er.
Der 29-jährige Aargauer ist einer von rund 100 angehenden Piloten und Pilotinnen, die aktuell im Lufthansa Aviation Training (LAT) in der Ausbildung stehen. Sie alle wollen künftig in einem Cockpit der Fluggesellschaft Swiss oder Edelweiss sitzen. Doch diese Plätze gibt es derzeit nicht. Allein Swiss hat derzeit einen Überbestand von 120 Piloten und Pilotinnen.
Plan B gefragt
In Deutschland wurden darum alle laufenden Ausbildungslehrgänge abgebrochen. In der Schweiz – dank Unterstützungsgelder des Bundes – werden die zweijährigen Lehrgänge, welche noch vor der Pandemie begonnen haben, weitergeführt. Für Julian Günther und seine Kollegen und Kolleginnen einerseits positiv, aber auch belastend, weil sie kaum Aussicht auf eine Anstellung nach der Ausbildung haben.
Pilotenanwärter Günther lässt sich davon nicht unterkriegen. «Es wird weitergehen. In einigen Jahren wird wieder Normalbetrieb in der Luftfahrt herrschen», ist er überzeugt. Nichtsdestotrotz hat er sich einen Übergangsjob gesucht – und gefunden. In einem Teilzeitpensum repariert er als Mechaniker Elektro-Scooter. Dies will er so lange tun, bis er auf einem Pilotensitz Platz nehmen kann.
Grösste Krise der Luftfahrt
Fluglehrer Nik Studer ist selbst Langstreckenpilot bei der Swiss und kennt das Auf und Ab in der Luftfahrtbranche. «Bei anderen Krisen war es so, dass man vielleicht einen Job bei einer anderen Fluggesellschaft oder in einem anderen Land fand. Dieses Mal ist es anders. Die Krise ist global und betrifft die ganze Reisebranche.»
Die Luftfahrt erlebt die grösste Krise ihrer Geschichte, einen Umbruch. Dennoch habe die klassische Pilotenausbildung eine Zukunft. Davon ist David Birrer, Geschäftsführer von Lufthansa Aviation Training Switzerland, überzeugt: «Mittelfristig gehen wir von einer weltweiten Erholung der Airlines aus.»
Zudem eröffneten sich neue Segmente. In den nächsten Jahren würden etwa die elektrischen Lufttaxis in den Markt eintreten. Und auch im Bereich der Frachtdrohnen brauche es Piloten und Pilotinnen, sagt Birrer: «Ich bin überzeugt, dass die Fähigkeiten, die ein Pilot heute lernt, auch in Zukunft gefragt sein werden.»
Ich schaue positiv in die Zukunft. Ich glaube fest daran, dass es nach der Ausbildung in naher Zukunft mit einem Sitz in einem Cockpit klappt.
«Cleared for landing!» – Landeerlaubnis. Günther setzt mit der Propellermaschine im wolkenverhangenen Grenchen auf der Piste auf und rollt zum Standplatz. Trotz der derzeit bewölkten Berufsaussichten – der Pilotenschüler bleibt optimistisch: «Ich schaue positiv in die Zukunft. Ich glaube fest daran, dass es nach der Ausbildung in naher Zukunft mit einem Sitz in einem Cockpit klappt.»