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Krisenmanagement im Gegenwind Wer ist schuld an den vielen Corona-Toten?

Politiker von CVP und SP geben den Behörden schlechte Noten. Aus den Reihen von FDP und SVP tönt es deutlich moderater.

Am 2. April 2020 starben in der Schweiz 60 Menschen an den Folgen einer Corona-Infektion. Es war der Spitzenwert der ersten Welle. Dieser wurde in der zweiten Welle bereits an 38 Tagen überschritten. Mit bisher 5692 Corona-Toten steht die Schweiz auch international schlecht da.

«Tragödie» – «Ignoranz»

«Ich kann schlichtweg nicht begreifen, warum in einem Land mit genug Geld und einer Gesundheitsinfrastruktur erster Klasse so viele Tote hingenommen werden», sagt CVP-Präsident Gerhard Pfister. Nach seinen Worten hätte die Politik unbedingt vermeiden müssen, dass es im Dilemma zwischen Wirtschaft und Menschenleben zulasten der Menschen geht: «Persönlich halte ich das für eine Tragödie.»

In der zweiten Welle starben an vielen Tagen 80 oder mehr Menschen mit Corona. Alle 18 Minuten ein Toter. Ein Politikversagen sondergleichen, findet SP-Co-Präsident Cédric Wermuth: «Ein Grossteil ist gestorben, weil die Politik zu spät hingeschaut und keine Empathie für die Opfer hat. Es schockiert mich zutiefst, dass die Schweiz zu dieser Ignoranz fähig ist.»

Ein Grossteil ist gestorben, weil die Politik zu spät hingeschaut hat.
Autor: Cédric Wermuth SP-Co-Präsident

Versagt der Föderalismus?

Pfister verneint eine Krise des Föderalismus: «Es ist eine Krise, weil gewisse Verantwortliche in Institutionen und Behörden der Herausforderung nicht gewachsen sind oder zumindest diesen Eindruck vermitteln.» Namen nennt er nicht, meint aber offensichtlich die Kantonsvertreter.

Es ist eine Krise, weil gewisse Verantwortliche in den Institutionen und Behörden der Herausforderung nicht gewachsen sind.
Autor: Gerhard Pfister CVP-Präsident

Das Systemversagen liege darin, dass niemand die Verantwortung übernommen habe, stellt Wermuth fest – weder Gesundheitsdirektoren, noch Parlament noch Bundesrat: Man habe abgewartet und sei jedes Mal zu spät gewesen. «Und nun sehen wir, dass es zu spät ist.»

Warten - wie lange noch?

Auch jetzt hat man den Eindruck, dass Bund und Kantonen zuwarten wollen. Wermuth pflichtet bei: Immerhin gebe es jetzt aber ein Bewegung für ein Ampelsystems und ein koordiniertes Vorgehen. Aber es sei wieder um Wochen zu spät.

Und welche Verantwortung trägt die SP, die mit dem Gesundheitsminister und der Bundespräsidentin an den wichtigsten Positionen präsent ist? Es seien zwei von sieben, die nicht allein entschieden, stellt Wermuth fest. FDP und SVP hätten die liberale Politik zu Gunsten der Wirtschaft forciert.

Freisinniger Ruf nach klaren Regeln

FDP-Gesundheitspolitiker und Ständerat Damian Müller weist das zurück: «Es geht nicht um liberal oder schliessen. Es geht um eine verständliche Politik mit klaren Regeln. Heute wissen die Leute nicht mehr, was gilt. Diese Problematik provoziert der Bundesrat.»

Heute wissen die Leute nicht mehr, was gilt. Diese Problematik provoziert der Bundesrat.
Autor: Damian Müller Ständerat, FDP

Müller bringt als Beispiel die Restaurants: Damit die Skifahrer an Sonntagen ins Restaurant könnten, blieben diese offen, müssten aber unter der Woche um 19:00 Uhr schliessen. Dieser faule Kompromiss eliminiere das Abendgeschäft: «Da muss man sich überlegen, bis 22:00 Uhr zu öffnen. Oder man schliesst die Gastrobetriebe komplett, finanziert durch den Bund.»

Volkspartei findet Linie gut

Nur die SVP steht hinter der bisherigen Politik. «Ich erachte die Linie des Bundesrates rückwirkend als gut. Es war richtig, den Föderalismus zuzulassen und so einen gesamtschweizerischen Lockdown über Wochen zu verhindern», betont Nationalrat Albert Rösti.

Ich erachte die Linie des Bundesrates rückwirkend als gut. Für mich ist die Gratwanderung gerechtfertigt.
Autor: Albert Rösti Nationalrat, SVP

Natürlich sei jeder Todesfall einer zu viel, betont Rösti. Aber die Schweiz schneide immer noch besser ab als andere europäische Länder: «Für mich ist die Gratwanderung gerechtfertigt – mit gesundheitlichen Schutzmassnahmen, aber ohne zu starke Einschränkung und Kollateralschäden.»

Echo der Zeit, 15.12.2020, 18:00 Uhr

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