Im Asyl-Zentrum Lilienberg leben momentan bis zu 90 minderjährige, männliche Jugendliche. Das war aber nicht immer so: Noch vor einem Jahr lebten halb so viele Jugendliche im Lilienberg. Seither sind die Asylgesuchszahlen gestiegen, auch die von unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden (UMA).
Wir haben das Gefühl, es könnten jederzeit schlimme Sachen auf dem Lilienberg passieren.
Die ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter warnen: «Wir machen uns grosse Sorgen. Wir haben das Gefühl, es könnten jederzeit schlimme Sachen auf dem Lilienberg passieren. Es kann jederzeit zu Gewalt oder selbstschädigendem Verhalten kommen.»
Es ist eine handvoll ehemaliger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich hier äussern. Sie wollen alle anonym bleiben – zu gross ist die Angst vor Repressionen. SRF konnte mit ihnen sprechen und hat ihre Angaben – so weit als möglich – überprüft. Die betroffenen Personen haben keinen anderen Ausweg gesehen, als sich an die Medien (SRF, Tagesanzeiger, Das Lamm) und Politiker zu wenden. SRF hat mit weiteren Personen im Umfeld des Lilienbergs gesprochen. Sie bestätigen die Vorwürfe der Gruppe.
Überlastetes Zentrum und wenig Personal
Den Grund für die schlechten Zustände sehen die ehemaligen Angestellten darin, dass das Zentrum total überlastet sei und es zu wenig Personal mit sozialpädagogischer Ausbildung gebe. Nach Aussen hin wolle die Asylorganisation Zürich (AOZ) aber gut aussehen: «Die AOZ investiert ganz viel Zeit und Energie, um gegen Aussen gut auszusehen. Es gibt viele Dokumentationen, Papers, Konzepte, die erstellt werden, um gut dazustehen.»
Im vergangenen Jahr sei es zu insgesamt 13 Abgängen im Betreuungsteam gekommen, so die ehemaligen Mitarbeiter. Diese hohe Fluktuation bedeute eine massive Anzahl von Beziehungsabbrüchen für die Jugendlichen. Mehrmals hätten sich Mitarbeiter an die Leitung gewandt, seien aber entweder nicht gehört, individualisiert oder folgenlos geblieben.
Warnung kam von mehreren Seiten
Dass die Zustände im Lilienberg Fragen aufwerfen, zeigt zudem die Tatsache, dass sich die Lehrerschaft und die psychologische Betreuung an den Kanton gewandt haben.
Wir nehmen wahr, dass die Überforderung immer grösser wird, wir haben immer wieder andere Ansprechpersonen bei den Jugendlichen.
Family Help betreut die Jugendlichen psychologisch. «Wir nehmen wahr, dass die Überforderung immer grösser wird, wir haben – im Gegensatz zu früher – immer wieder andere Ansprechpersonen bei den Jugendlichen. Wir haben uns deswegen an den kantonalen Sozialdienst gewandt», sagt Sandra Rumpel, Psychotherapeutin bei Family Help.
Auch die Schule im Lilienberg hat sich mit einem Brief an den Kanton gewandt: Weil die personellen und räumlichen Zustände im Lilienberg so schlecht seien, müssten die Lehrpersonen immer mehr übernehmen. Der Schulpflegepräsident bestätigt den entsprechenden Brief.
Vertrag ist Schuld für schlechte Zustände
Für die ehemaligen Angestellten ist klar, dass der Grund im Vertrag zwischen dem Kanton und der AOZ liegt: «Die schlechten Bedingungen, die zwischen dem Kanton und der AOZ ausgehandelt wurden, müssen nun von Mitarbeitern und vor allem von den Jugendlichen ausgebadet werden.» Der Kanton Zürich hat den Auftrag ausgeschrieben, beworben hatte sich 2018 aber nur die AOZ.
In einer Stellungnahme auf eine Anfrage aus dem Gemeinderat, schreibt der Zürcher Stadtrat denn auch, dass die Unterkunft bei einer hohen Belegung kaum rentabel zu betreiben sei.
AOZ bestreitet Vorwürfe
Die Asylorganisation Zürich schreibt in ihrer Stellungnahme (siehe Box), dass die Vorwürfe nicht zutreffen würden. So schreibt sie beispielsweise zum Thema Putzen, dass täglich geputzt würde. Einen Extra-Effort für Besuch am nächsten Tag erachte man aber als normal, im Sinne eines guten Gastgebers.
Kanton sieht Handlungsbedarf
Beim Kanton Zürich ist man sich offenbar der Problematik bewusst. Das kantonale Sozialamt (KSA), das für die Unterbringung zuständig ist, schreibt auf Anfrage: «Dem Kantonalen Sozialamt sind die Kritikpunkte betreffend Betreuungssituation im Lilienberg bekannt. Die beteiligten Stellen sind im Austausch. Aufgrund von verschiedenen Beobachtungen und Meldungen hat das KSA eine ausserordentliche Betriebsprüfung durch unabhängige Fachexperten angeordnet. Über allfällige Massnahmen wird entschieden, wenn die Resultate vorliegen.»
Wie genau diese externe Prüfung sein soll und wann sie stattfinden wird, dazu gibt der Kanton keine Auskunft.