Darum geht es: Das Thema KI beschäftigt die Menschen. Gemäss des neuesten Digital-Radars-Schweiz finden über 40 Prozent, die Schweizer Demokratie sei in Gefahr. Doch wie steht es um die Chancen? Wer heute eine E-Mail schreibt, Inspiration für einen Schulvortrag erhalten oder in einer Fremdsprache kommunizieren will, kann das dank Tools wie ChatGPT oder DeepL so einfach tun wie nie zuvor. Auch in der Berufswelt dürften die Folgen massiv sein. Erhöhen die Tools künftig gar die Chancengleichheit?
Das Thema ist noch wenig erforscht: Gemäss einer Studie der US-Universität MIT vom vergangenen Juli profitieren vor allem jene Personen vom Einsatz von ChatGPT, die im Vergleich zu anderen Mühe mit Schreiben haben. An der ZHAW in Winterthur zeigten Experimente mit Übersetzungstools in der Behördenkommunikation von Migrantinnen und Migranten, dass sich die Probandinnen und Probanden wohler fühlten und mehr redeten. «Sie haben ein bisschen mehr Macht bekommen», erklärt Alice Delorme Benites, Professorin für Mensch-Maschine-Kommunikation an der Fachhochschule. Insgesamt hinkt die Forschung der Realität aber noch hinterher.
Bei Jobbewerbungen ist die KI längst angekommen: Michèle Rosenheck ist Direktorin des Laufbahnzentrums der Stadt Zürich (LBZ). Sie sagt: «KI ist auf jeden Fall schon ein Thema bei uns.» Sowohl Arbeitgebende als auch Arbeitnehmende würden die Tools fleissig nutzen. Die Beratungspersonen des Laufbahnzentrums würden deren Einsatz fördern, den Menschen aber auch klarmachen, dass der Text zur verfassenden Person passen muss: «In einem ersten Schritt kommt man damit sehr schnell voran, dann aber kommt die zweite Komponente – die Personalisierung. Da hilft einem die KI nicht weiter.»
Die Gefahr von Falschinformationen ist real: Tools wie ChatGPT sind verlockend – zum Teil zu verlockend, bestätigt Prof. Dr. Alice Delorme Benites von der ZHAW. «Das Schlimmste ist, dass vieles so glaubhaft ist». Generative KI-Modelle wie ChatGPT geben nicht die Wahrheit, sondern Wahrscheinlichkeiten wieder – eine Herausforderung für uns Menschen. Fachleute sprechen vom sogenannten «Priming Effect»: Hat man einmal etwas von einer Maschine gehört, glaubt man ihr später umso mehr. Auch in der neuen Welt gilt also: Es braucht kritisches Denken und Ressourcen, um die Ergebnisse interpretieren zu können.
KI und die Gleichheit – ein heikles Thema: Organisationen wie der internationale Währungsfonds warnen vor den Auswirkungen der KI auf die globale Ungleichheit und fordern mehr Regulierung. Millionen von Jobs könnten ansonsten unkontrolliert verloren gehen und im schlimmsten Fall eine Zweiklassengesellschaft entstehen: nämlich zwischen jenen, die die KI zu nutzen wüssten – und allen anderen.
Der Blick in die Zukunft: «Lesen und Schreiben ist eine Schlüsselkompetenz», ist Zukunftsforscher Joël Luc Cachelin überzeugt. Er ist skeptisch, was den Einfluss der neuen Tools auf die Chancengleichheit angeht: «Es ist das alte Heilsversprechen des Internets: Aber bisher hat sich kaum eine Prophezeiung bewahrheitet, wonach das Internet alles Wissen für alle Menschen gleich zugänglich gemacht hat.» Auch Alice Delorme Benites glaubt nicht, dass die KI-Tools die Ungleichheit auslöschen werden. «Die Maschinen sind genial – aber man muss auch damit arbeiten können. Am Schluss müssen wir Menschen sagen, was wir wollen.»