Eine Welle, die immer kommt. Eine Welle, die stark genug ist, um darauf zu surfen. Und das in der Schweiz – dem Binnenland ohne Meer. Das gibt es seit diesem Jahr im Kanton Wallis in Sitten.
Die Alaia Bay – so heisst die Anlage – ist ein Projekt von jungen Surfbegeisterten. Sie erfüllen sich damit einen Traum. Und nicht nur sich: Bis jetzt mussten angefressene Surferinnen und Surfer ins Ausland, um ihren Sport auszuüben. Ein riesiger Pool ändert das jetzt.
So funktioniert der Pool
Pro Stunde produziert die Anlage zwischen 300 und 1000 Wellen – je nach eingestelltem Modus. Die Grösse, die Form, die Kraft und die Frequenz können per Knopfdruck geändert werden. Das ist einzigartig.
Besonders ist auch, dass auf einer Seite des Pools linksgerichtete Wellen kommen, auf der anderen Seite rechtsgerichtete. 24 bis 40 Surferinnen und Surfer gleichzeitig haben Platz.
Diese Anlage ist eine Revolution für die Schweizer Surfszene.
Was man auf dieser Welle nicht lernen könne, erklärt Benedek Sarkany vom Schweizer Surfverband, sei die Wellenselektion. Jede Welle ist surfbar – das ist im Meer natürlich anders. Dort muss man lernen zu erkennen, welche Welle gut ist. Aber: Die Walliser Anlage werde die Schweizer Surfwelt verändern.
Da ist viel Geld im Spiel
Initiant Adam Bovin ist 25-jährig, war schon immer begeistert vom Ski- und Skateboard-Fahren. Später dann auch vom Surfen. Nur in den Ferien konnte er jeweils wellenreiten. Ihm reichte das nicht. Als er ein Video von einer künstlichen Anlage sah, die Wellen produziert, war es um ihn geschehen. Er gründete die Firma, die die Alaia Bay nun betreibt.
Bezahlt hat die Anlage nicht der Initiant selbst. Ein Teil wurde durch ein Crowdfunding finanziert, daneben gab es Investorinnen und Investoren. Insgesamt soll die Alaia Bay einen «zweistelligen Millionenbetrag» gekostet haben, genaue Zahlen verrät Adam Bovin nicht.
Es sei nicht schwierig gewesen, Leute zu finden, die ihn mit seiner Idee unterstützten. Ganzjahrestourismus sei im Wallis ein lang gehegter Wunsch, in den viele investierten. Die Welle ist im Winter und Sommer surfbar.
Adam Bovin hat zudem ein gutes Netzwerk. Sein Vater, Mehrheitsaktionär der Investis, soll laut der Wirtschaftszeitung Bilanz über eine Milliarde Franken Vermögen besitzen. Der Sohn eifert nach: Im ersten Jahr rechnet er mit 100'000 Besuchen. 365 Tage soll Alaia Bay offen bleiben, im Sommer bis Mitternacht. Die ersten Wochen sind jedenfalls ausgebucht.
Ist das ökologisch?
Die künstlichen Wellen bräuchten etwa so viel Strom wie eine Sechser-Gondelbahn, so der Initiant. Wellenreiten im Wallis sei also vergleichbar mit Skifahren im Wallis. Zudem sei der Strom durch Wasserkraft erzeugt.
Die Surfanlage verbraucht etwa gleich viel Strom wie eine Gondelbahn. Skifahren und Surfen im Wallis ist also vergleichbar.
Auch die Firma Wavegarden, die bereits vier andere solche Surfanlagen weltweit gebaut hat, betont die Nachhaltigkeit. Laut ihren Berechnungen ist der Besuch der Anlage dann umweltfreundlicher, als eine Reise mit dem Auto an den Strand, wenn der Strand mindestens fünfzehn Minuten weiter von zu Hause entfernt ist als die Surfanlage. Diese Voraussetzung ist im Wallis natürlich erfüllt. Das nächste Meer liegt in Italien, deutlich weiter als 15 Autominuten weit weg.
Die Hoffnung des Walliser Initianten ist es, dass Surferinnen und Surfer eher mal in der Schweiz ein Wochenende surfen gehen, anstatt an die Atlantikküste zu fliegen.
Wird die Schweiz zur Surfnation?
«Diese Welle ändert tatsächlich viel für uns», sagt Benedek Sarkany, der Präsident des Schweizer Dachverbandes für das Surfen. Das Schweizer Surfen werde revolutioniert: Man könne den Breitensport fördern, den Leistungssport fördern, Jung und Alt könne auf dieser Welle surfen. In der Schweiz gibt es ungefähr 40'000 Surfbegeisterte, Tendenz steigend.
Die Schweiz sei bereits eine Brettsportnation: Man fahre Ski oder Snowboard. Sarkany meint, da passe Surfen bestens dazu.
«Es kann jetzt natürlich passieren, dass ein Walliser Kind Freude am Surfen bekommt», so Sarkany. Und werde dann irgendwann zum Profi. Heute gibt es noch keine wirklichen Profis aus der Schweiz. Nur Semiprofis, sagt Benedek Sarkany. Vom Surfen allein könne nur ein einziger Schweizer Surfer leben.
Zwei Surferinnen beurteilen die Welle
Die Schweizer Surf-Semiprofis sind eine etwas seltsame Gattung: Sie lieben einen Sport, den sie in ihrer Heimat nicht wirklich ausüben können. Alena Ehrenbold beispielsweise, eine Luzerner Gymnasiallehrerin, die ihre Heimat für das Surfen aufgegeben hat. Mehrere Jahre war sie als Nomadin unterwegs in der ganzen Welt.
Sie lebte teilweise durch Sponsoren und Werbeaufträge als Surferin, teilweise hat sie Surffilme produziert. Nun ist sie – coronabedingt – zurück in der Schweiz und unterrichtet wieder.
Sie war bereits auf der Walliser Welle. «Vom Surffeeling her war es sehr ähnlich wie im Meer», sagt die Surferin. Das habe sie überrascht, so etwas habe sie noch nie erlebt.
Die künstliche Welle unterscheide sich aber in gewissen Dingen von echten Meerwellen: «Das Wasser ist natürlich nicht salzig. Dadurch trägt die Oberfläche nicht gleich gut.» Ebenfalls speziell: Man kann durch die Welle hindurch schauen. Es hat ja keinen Sand im Pool.
Ich wäre auch mit so einer Welle nicht in der Schweiz geblieben.
Das Mitglied des Elite-Teams reiste mehrere Jahre von Meer zu Meer. Hätte es eine solche Trainingsmöglichkeit in der Schweiz damals schon gegeben, hätte das an ihren Plänen aber nichts geändert. «Der entscheidende Punkt für mich, weshalb ich so gerne surfe, ist das Naturerlebnis. Diese unglaubliche Ruhe auf dem Meer. Diese Unberechenbarkeit der Wellen. Und ein Alltag, der sich nach den Gezeiten und dem Wetter richtet. Das fällt bei der künstlichen Welle komplett weg. Aber natürlich ist das Training auf einer so perfekten Welle wie im Wallis optimal.»
An einem anderen Punkt ist aktuell Fabienne Sutter, sie ist im Schweizer Talent-Team, mit dem Ziel, eines Tages im Elite-Team dabei zu sein. «Als Schweizer Surferin hat man es nicht immer einfach ohne Meer», erklärt sie. Alle Ferien drehten sich ausschliesslich ums Wellenreiten. Städte- oder Kulturreisen kämen gar nicht infrage. Deshalb ist sie vor einem Jahr nach Galizien ans Meer gezogen, um öfters surfen zu können.
«Ich habe das Gefühl, das künftig viele auf Kurztrips ans Meer verzichten», sagt sie – und ergänzt: «Das hoffe ich zumindest.»
Die Zukunft des Sports – und der Welle
Alle Befragten – Sarkany, Sutter und Ehrenbold – glauben daran, dass die Walliser Anlage die Schweizer Surferinnen und Surfer besser macht. Gleichförmige, starke Wellen ermöglichen, dass man gewisse Bewegungsabläufe lernt. Dennoch ist es schwierig, vom Sport zu leben – im Fussball etwa steckt viel mehr Geld. Aber: Surfen ist 2021 erstmals eine olympische Disziplin. Das wird wohl die Wahrnehmung verändern und den Sport mehr ins Rampenlicht rücken.
Das dürfte auch der Alaia Bay im Wallis entgegenkommen. Laut eigenen Angaben gibt es rund 3 Millionen Surfbegeisterte im Umfeld der Anlage, die innerhalb von drei Fahrstunden in Sitten sind. Für viele eine echte Alternative zur Fahrt ans Meer. Obwohl das Salz im Wasser fehlt: Das Wallis liegt jetzt ein bisschen am Meer.