Das Wichtigste in Kürze
- Bei herztoten Organspendern galt bisher: Wenn das Herz aufgehört hat zu schlagen, wird der Patient zehn Minuten lang nicht berührt und nicht reanimiert. Erst nach diesen zehn Minuten wird der Tod definitiv festgestellt.
- Nun wird diese sogenannte «No Touch»-Zeit von zehn auf fünf Minuten halbiert.
- Dies sagen die neuen Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften. Richtlinien, die für die Ärzte verbindlich sind.
- Ethikerin Ruth Baumann-Hölzle zeigt sich alarmiert.
Ein Patient liegt auf der Intensivstation, er wird beatmet, sein Kreislauf nur noch von Maschinen aufrechterhalten. Der Arzt muss den Angehörigen mitteilen: Es ist hoffnungslos. Will dieser Patient seine Organe spenden, dann muss der Arzt nach dem Herzkreislaufstillstand nun weniger lang warten, bis er testet, ob die Pupillen noch reagieren oder ob noch Reflexe vorhanden sind – also ob der Patient auch hirntot ist.
Fünf Minuten seien in vielen Ländern normal, sagt Jürg Steiger von der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften: «In vielen Ländern ist es sogar kürzer als fünf Minuten.»
In vielen Ländern ist es sogar kürzer als fünf Minuten.
Fünf Minuten seien ausserdem gut vertretbar, weil in der Schweiz der Herzkreislaufstillstand nicht per Puls-Tasten am Hals, sondern per Ultraschall festgestellt wird. Es kann also mit absoluter Sicherheit gesagt werden, dass kein Sauerstoff mehr ins Gehirn gelangt. Ohne Sauerstoff gehen Hirnzellen schon nach zwei oder drei Minuten kaputt.
Dass der Tod nun schneller festgestellt werden kann, sei für die Organentnahme eine Chance, sagt Franz Immer von Swisstransplant. Er erklärt: «Diese Verkürzung wird uns ermöglichen, Organe zu entnehmen, die dann weniger anfällig für Komplikationen im weiteren Verlauf sind.» Denn die Organe seien bei der Entnahme noch gesünder. Beispielsweise bei Lebern könnte es in Zukunft bessere Organspenden geben.
Ganz anders reagiert die Ethikerin Ruth Baumann-Hölzle auf das neue Gesetz und die neuen Richtlinien. Sie ist regelrecht alarmiert und warnt, dass die Hürden für Organentnahmen immer mehr abgebaut würden.
«Ich habe grundsätzlich die Befürchtung, dass die Grenze für eine Organentnahme, welche klar nach dem Hirntot zu geschehen hat, immer mehr in Richtung urteilsunfähige Menschen zurückgeschoben wird.» Es sei zentral, dass das Recht auf körperliche Integrität immer gewahrt werde.
Man stelle sich vor, wie innerhalb von fünf Minuten ein ganz neues Team in einem Operationssaal stehen soll.
Mit der Verkürzung auf fünf Minuten bis zu einer Diagnose des Hirntods werde zudem die Trennung zwischen dem Team, das den Hirntod diagnostiziert, und jenem, das die Organe entnimmt, immer schwieriger. «Man stelle sich vor, wie innerhalb von fünf Minuten ein ganz neues Team in einem Operationssaal stehen soll», sagt Baumann-Hölzle. Dabei sei diese Trennung vom Gesetz vorgeschrieben.
Respektvoller Umgang gewährleistet
Sowohl die Akademie der Medizinischen Wissenschaften als auch Swisstransplant betonen, dass es das Ziel sei, für alle Beteiligten die grösstmögliche Gewissheit zu erreichen, dass Spender zum Zeitpunkt der Organentnahme tot sind und der respektvolle Umgang mit dem Sterbenden beziehungsweise dem Leichnam stets gewährleistet sei.
Die zentralen Revisionspunkte im Überblick
Das Transplantationsgesetz (TxG) wurde revidiert und tritt am 15. November 2017 in Kraft. Dies hat auch eine Überarbeitung der SAMW-Richtlinien «Feststellung des Todes im Hinblick auf Organtransplantationen» erforderlich gemacht. Neu gilt:
Wann dürfen Angehörige zur Organspende befragt werden? Der bisherige Gesetzestext liess unklar, ab welchem Zeitpunkt mit den Angehörigen über das Thema der Organspende gesprochen werden darf. Nun ist klar geregelt: Im Gespräch mit den Angehörigen muss es eine klarere Trennung geben zwischen dem Gespräch über einen Therapieabbruch und dem Gespräch über eine mögliche Spende.
Was gilt, wenn Angehörige eine Organentnahme ablehnen, obwohl eine Spendekarte vorliegt? Die Richtlinien verweisen auf die rechtliche Regelung, die festhält, dass der Wille der verstorbenen Person über jenem der nächsten Angehörigen steht.
Wer darf den Tod feststellen? Die überarbeiteten Richtlinien umschreiben die Anforderungen an Ärztinnen und Ärzte, die den Tod feststellen, präziser als bisher. Ärzte, die einen Hirntod feststellen, müssen zuerst fünf Hirntoddiagnostiken unter Supervision durchführen.
Welche Massnahmen dürfen vor dem Tod durchgeführt werden? Um die Organe bis zur Entnahme funktionsfähig zu erhalten, müssen vorbereitende medizinische Massnahme durchgeführt werden. Mit dem bisherigen TxG blieb unklar, ob Angehörige vorbereitenden Massnahmen vor dem Tod zustimmen können, wenn der betreffende Patient sich selbst nicht dazu geäussert hat. Mit dem revidierten TxG steht nun fest, dass vertretungsberechtigte Angehörige – mit gewissen Ausnahmen – vorbereitenden Massnahmen zustimmen können.
Wie lang ist die «No Touch»-Zeitspanne? Bei einem Tod nach anhaltendem Kreislaufstillstand beträgt die Wartezeit neu fünf statt zehn Minuten ohne Durchführung von Reanimationsmassnahmen.