Es sind happige Vorwürfe: Im Westschweizer Radio und Fernsehen RTS sollen sich mehrere Vorgesetzte gegenüber ihren unterstellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unangemessen verhalten haben. Das berichtet die Zeitung «Le Temps» am Samstag und veröffentlichte eine Recherche, an der mehrere Journalisten während dreier Monate gearbeitet haben.
Darius Rochebin prägte 25 Jahre lang das Leben der Westschweizerinnen und Westschweizer. Über 4000 Mal präsentierte er das Téléjournal – das Westschweizer Pendant zur Tagesschau.
Aushängeschild in der Westschweiz
Rochebin hat einen sehr guten Ruf als Journalist. In seiner Interview-Sendung «Pardonnez-moi» hatte er die Grossen dieser Welt vor der Kamera: Den Dalai Lama, Vladimir Putin, Emmanuel Macron oder Greta Thunberg.
Aber der 54-jährige Rochebin war für die Westschweiz mehr als ein Journalist oder Fernsehmoderator: Er hatte das glänzende Image eines Traumschwiegersohns. Sein Wechsel zum französischen Fernseh-Sender LCI diesen Sommer wurde denn auch sehr bedauert.
Dieses makellose Bild wird mit der Recherche der Zeitung «Le Temps» nun stark angekratzt. Rochebin soll sich ungebührlich verhalten haben, vor allem gegenüber jungen Männern, die ihren Weg in den Journalismus suchten. Und er soll falsche Profile auf Facebook von jungen Frauen erstellt haben, um mit den jungen Männern in Kontakt zu kommen.
Ob er sich dabei strafbar gemacht haben könnte, ist noch unklar. So überraschend das für die Westschweizer Fernseh-Zuschauer kommen mag: In Journalisten-Kreisen zirkulierten seit längerem Gerüchte über Rochebins Verhalten gegenüber jungen Männern.
Radio SRF konnte Darius Rochebin nicht erreichen, via seinen Anwalt gab er aber der Zeitung «Le Temps» an, dass er sich weder strafbaren Handlung schuldig gemacht, noch jemals Klage gegen ihn eingereicht worden sei.
«Kultur des Schweigens» bei RTS
In der Kritik ist auch das Westschweizer Radio und Fernsehen RTS: Nicht nur Rochebin, sondern auch andere Kader-Mitarbeiter sollen sich ungebührlich verhalten haben, vor allem gegenüber Mitarbeiterinnen. Und diese Vorwürfe sollen auch gemeldet worden sein – aber ohne Konsequenzen.
Bei RTS herrsche deshalb eine «Kultur des Schweigens», heisst es im heutigen Zeitungsbericht. RTS-Direktor Pascal Crittin sagt dazu: «Es gibt keine Kultur des Schweigens innerhalb von RTS, das will ich klarstellen – jeder Beschwerde wird nachgegangen. Bei jedem Beweis handeln wir, und zwar entschlossen und so schnell wie möglich.»
RTS hält weiter fest, dass abgesehen von einer externen Meldung über falsche Facebook-Accounts intern nie eine Beschwerde über Darius Rochebin eingereicht worden sei.
SRG zeigt sich schockiert
Die Vorwürfe beschäftigen auch die SRG, die Trägergesellschaft, der RTS und auch Schweizer Radio und Fernsehen SRF angehören. Generaldirektor der SRG ist Gilles Marchand, der zwischen 2010 und 2017 RTS führte. Die SRG teilte am Samstag auf Anfrage mit, dass Marchand nichts von den Vorwürfen gewusst habe, und dass er zutiefst schockiert sei über die von «Le Temps» aufgebrachten Vorwürfe.
Die SRG setze gemeinsam mit RTS alles daran, «diesen bislang in diesem Ausmass nicht bekannten Vorwürfen nachzugehen und mitzuhelfen, allfällige strafbare Handlungen zu ahnden». Die SRG wies zugleich darauf hin, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stünden, um ein solches Verhalten zu melden.