Für die Bildung auf die Strasse: Studierende und Forschende aus der ganzen Schweiz demonstrieren heute in Bern gegen Gebührenerhöhungen und Budgetkürzungen an den Universitäten. Neben dem Bildungsabbau und den Sparprogrammen in den Kantonen kritisieren sie, dass Lehrinhalte zunehmend den Interessen der Wirtschaft angepasst werden, indem etwa Lehrstühle durch Firmen gesponsert werden. «Ökonomisierung der Bildung» heisst das Reizwort. Der Kundgebung beschliesst eine landesweite Aktionswoche unter dem Motto «Bildungsaufstand».
Wehret den Anfängen: Das Phänomen der «Ökonomisierung der Bildung» beobachtet auch der emeritierte Soziologie-Professor Ueli Mäder. Bereits 1968 sei in der studentischen Zeitschrift «kolibri» der Uni Basel moniert worden, die Universitäten würden allmählich zu «Lernfabriken». Fünf Jahrzehnte später sei man zwar glücklicherweise noch nicht so weit, doch die Bedeutung des Geldes nehme zu und mache auch vor den Pforten der Hochschulen nicht halt. «Wehret den Anfängen», umschreibt Mäder die Sorge der Studierenden.
Verlockende Angebote: Auch ihm seien einst von einer renommierten Stiftung erhebliche Mittel in Aussicht gestellt worden, wenn er eine bestimmte Studie zu den «Kulturen des Gebens» erarbeite, erzählt Mäder. «Leider stand von Anfang an fest, welches Ergebnis in etwa rauskommen müsste. Das wäre für mich der Tod der Forschung.» Aber auch bei Berufungen auf Lehrstühle spiele es zunehmend eine Rolle, wie viel private Mittel eine Dozentin oder ein Dozent mobilisieren könne, weiss Mäder. Dieses Kriterium erhöhe oder mindere ganz klar die Chance auf einen Posten.
Unabhängigkeit als Erfolgsrezept: Laut Mäder ist es ausserordentlich wichtig, dass in einer derart wirtschaftlich geprägten Gesellschaft auch Forschung und Lehre möglichst unabhängig existieren können. Entsprechend sei die öffentliche Hand gut beraten, dieses Verständnis der Autonomie für alle Bildungsausrichtungen hochzuhalten. Ansonsten würden alle – auch die Wirtschaft – verlieren. Denn sie habe nichts davon, wenn Ergebnisse quasi nach Wunsch produziert würden. Innovationen lebten davon, dass Menschen querdenken und sich Zeit nehmen könnten. Das bringe einer Gesellschaft wesentlich mehr: «Ökonomisierung wäre also Verarmung, und es würde auch demokratische Prinzipien unterlaufen.»
Mitreden, aber nicht bestimmen: Dass die Wirtschaft als Teil der Gesellschaft Bedürfnisse anmelde und ökonomische Fragen gestellt würden, sei immer möglich und auch wichtig, so Mäder. Aber die Strukturen der Universitäten dürften nicht vom Goodwill und den Mitteln privater Kräfte abhängig werden.
Der grosse Vorwurf: Im Brennpunkt ist seit 2012 die Universität Zürich, als ihr die Grossbank UBS zum 150-Jahre-Jubiläum 100 Millionen Franken schenkte. Es entstand das UBS International Center of Economics in Society. Kritiker sprachen vom Ausverkauf der Bildung. Rektor Michael Hengartner betont, dass die UBS keinen Einfluss auf das Zentrum nehme: «Das Geld ist bei uns auf der Bank und wir können jetzt investieren. Zum Beispiel in fünf Professoren, die wir aussuchen und die dann unabhängige Forschung machen.»
Die vier Kriterien der Uni Zürich: Hengartner listet die vier Kriterien für die Annahme von Geld aus der Privatwirtschaft auf: Die Freiheit in Forschung und Lehre muss gewährleistet sein. Die Reputation muss gewährleistet sein und gestärkt werden. Die Kooperation muss strategisch mit den Zielen der Universität übereinstimmen. Transparenz muss gewährleistet sein.
Die richtige Mischung: Eine gute Balance zwischen gestifteten und eigenen Professuren sei wichtig für eine öffentliche Hochschule wie die Universität Zürich, sagt Hengartner. Er stellt fest, dass eine Universität, die nur dank Schenkungen funktionierte, ein sehr unausgewogenes Portfolio hätte. Zugleich sei er dafür verantwortlich, dass mit den öffentlichen Geldern die ganze Breite des Wissens abgedeckt werde. «Wenn viele Professuren in der Volkswirtschaft finanziert werden, kann ich das Geld der Bürger brauchen, um auch die Literatur des 16. Jahrhunderts zu unterstützen», fügt er als Beispiel an.
Eine Güterabwägung: Zum Vorwurf der ungesunden Verbandelung von Wirtschaft und Forschung stellt Hengartner fest, dass es kritische und unterstützende Stimmen gebe. Es sei immer eine Güterabwägung. Diese gälte aber auch bei einer Vereinbarung mit der Universität Oxford. Die eigenen Rechte und Bedürfnisse müssten aufgenommen werden: «Ich unterschreibe nur, wenn ich am Schluss einen Gewinn für die Universität Zürich einholen kann.»