Durchschnittlich 100 statt wie sonst 70 neue Patientinnen und Patienten pro Tag: Der Notfall des Spitalzentrums Biel ist über die Festtage stark ausgelastet. Spitaldirektor Kristian Schneider sagt, die Situation sei seit der Covid-Krise angespannt. «Wir haben weniger Personal zur Verfügung, die Leute möchten nicht mehr 100 Prozent arbeiten.» Dass die Gesellschaft älter werde und mit der Babyboomer-Generation auch viele Ärztinnen und Ärzte in Rente gingen, erschwere die Situation. «Das führt dazu, dass wir permanent unter Druck sind.» Dies werde sich auch nicht ändern.
Forschende der Zürcher Hochschule der angewandten Wissenschaften haben die Krisenresistenz des Schweizer Gesundheitssystems untersucht, als Teil einer noch unveröffentlichten Studie. Diese wurde auch in anderen Ländern durchgeführt, und zwar im Rahmen der «Partnership for Health System Sustainability and Resilience», an der die London School of Economics oder das WEF beteiligt sind.
Knappheit beim Personal wird sich verschärfen
Einer der Autoren ist Gesundheitsökonom Matthias Maurer. Er stellt dem Schweizer Gesundheitswesen grundsätzlich ein gutes Zeugnis aus: «Es ist gut und nachhaltig aufgestellt, gerade im Vergleich zu anderen Staaten.» Allerdings werde sich die Knappheit beim Pflegefachpersonal und bei Ärztinnen und Ärzten in Zukunft weiter verschärfen. Eine mögliche Lösung sehen er und seine Co-Autoren darin, Wahleingriffe wie etwa Knieoperationen zu reduzieren.
Maurer sagt, die Schweiz habe als reiches Land eine relativ hohe Quote von Wahleingriffen. «Wenn man die Betten – also die Kapazitäten – im Hinblick auf die Wahloperationen reduzieren würde, könnte man das knappe Personal nutzen, um Notfälle besser zu versorgen.»
Spitaldirektor Schneider wehrt sich nicht gegen diese Aussage – er sagt sogar, die Entwicklung sei kaum mehr abzuwenden: «Wir werden langsam in die Situation reinrutschen, in der andere Länder schon sind: Entweder müssen wir Leistungen komplett kürzen oder Wartezeiten für Operationen aufbauen.»
Prekäre Situation in den Spitälern
Nicht nur der Notfall, sondern auch die Bettenstationen sind im Spitalzentrum Biel stark ausgelastet, insbesondere in der Kinderklinik. In anderen Spitälern ist die Situation teilweise noch schlimmer. So heisst es beim Inselspital Bern auf Anfrage, dass auch alle Bettenstationen maximal belegt seien. Dies belaste die Notfallstationen, die als Puffer dienen müssen, zusätzlich. Diese seien seit Monaten an der Kapazitätsgrenze.
Wenn die Politik und der Staat jetzt nicht die Verantwortung übernehmen, dort Unterstützung reinzugeben, wo Ambulantisierung stattfindet, verschleppen wir das Problem.
Wichtig wäre es aus Schneiders Sicht, das Finanzierungssystem anzupassen. Dies, damit Spitäler keine Fehlanreize bekommen, um Patienten im Spital zu behalten, statt sie ambulant zu behandeln. «Wenn die Politik und der Staat jetzt nicht die Verantwortung übernehmen, dort Unterstützung reinzugeben, wo Ambulantisierung stattfindet, verschleppen wir das Problem.»
Die Festtage zeigen denn auch, dass es zu Spitzenzeiten nicht ausreichen dürfte, weniger Wahleingriffe durchzuführen. Denn über Weihnachten finden heute schon jeweils keine Operationen statt, die nicht dringend sind. Dennoch braucht das Spital Biel aktuell gleich viel Personal wie sonst – wegen der vielen Notfälle.