In Europa herrscht wieder Krieg. Und während Putins Panzer durch die Ukraine rollen, ist in Bundesbern vor allem eines gefordert: entschlossenes, schnelles Handeln. Mit Blick auf die letzten zwei Jahre scheint das nicht eben die Paradedisziplin des Bundesrats zu sein. Immer wieder kam es zu Indiskretionen, Alleingängen und auch zu mancher Kurskorrektur.
Jüngste Beispiele: Nach Kritik im In- und Ausland justierte der Bundesrat bei den Sanktionen gegen Russland nach; diese Woche soll Bundespräsident Ignazio Cassis beim Transfer von Nato-Kriegsmaterial durch den Schweizer Luftraum vorgeprescht sein.
Die Frage stellt sich: Ist die Kollegialbehörde krisentauglich? Der Politologe Adrian Vatter analysiert in seinem aktuellen Buch «Der Bundesrat: die Schweizer Regierung» die Organisation und Funktion des Gremiums. Er kommt trotz kleinerer und grösserer Erschütterungen in der Kollegialbehörde zum Schluss: «Der Bundesrat ist grundsätzlich krisentauglich. Das hat er in den letzten zwei Jahren bewiesen.»
«Keine ideale Ausgangslage»
Der Politologe betrachtet die Pandemiebewältigung von den Ergebnissen her – und stellt der Schweiz beim Gesundheitsschutz ein mittelmässiges, bei der wirtschaftlichen Krisenbewältigung ein gutes bis sehr gutes Zeugnis aus. «Erstaunlicherweise hat die Schweizer Regierung, obwohl sie quasi aus dem 19. Jahrhundert stammt, funktioniert.»
Erstaunlich, weil Krisen rasche Entscheide in einer unübersichtlichen Lage erfordern. Und hier eine Kollegialregierung ohne klare Führung «nicht die ideale Ausgangslage ist, um diese Krise zu meistern», so Vatter.
Dieses Brechen des Kollegialitätsprinzips haben wir schon seit Jahrzehnten, und es hat jetzt auch keinen neuen Höhepunkt erreicht.
Das sei auch möglich geworden, weil – zumindest zu Beginn der Corona-Krise – Kantone und Bevölkerung hinter dem Bundesrat gestanden seien. «Man kam weg von der Parteipolitik, und erst im Verlauf der Krise haben sich die Defizite gezeigt – so auch die Schwächen des Schweizer Föderalismus.»
Kein neues Phänomen
Nichtsdestotrotz: Auch beim Krieg in der Ukraine wurden jüngst Bruchstellen im Bundesrat deutlich. Auch hier relativiert der Professor an der Universität Bern: «Dieses Brechen des Kollegialitätsprinzips haben wir schon seit Jahrzehnten, und es hat jetzt auch keinen neuen Höhepunkt erreicht.»
Im nächsten Jahr stehen die eidgenössischen Wahlen an, anschliessend werden auch die Mitglieder des Bundesrats neu bestätigt. Auch diese Einzelwahl eines jeden Bundesratsmitglieds kann eine Konkurrenzsituation im Gremium schaffen, wie Vatter erklärt.
Denn wer Bundesrat oder Bundesrätin bleiben will, muss sich über die eigenen Parteigrenzen hinaus profilieren, und auch in gewisser Weise Wahlkampf in eigener Sache betreiben. Ein Phänomen, das es in Regierungskabinetten anderer demokratischen Länder so nicht gibt.
«Eine Listenwahl würde von der Logik her viel eher dem Kollegialitätsprinzip entsprechen», sagt Vatter. In diesem Gedankenspiel könnten verschiedene Listen von Regierungswilligen gegeneinander antreten, die sich quasi als Team zur Wahl stellen würden.
Druck aus der eigenen Partei
Schliesslich kann auch die Loyalität eines Regierungsmitglieds zur eigenen Partei zur Zerreissprobe für das Gremium werden. Denn normalerweise emanzipieren sich Bundesräte nach ihrer Wahl ein Stück weit von ihrer eigenen Partei. «Nimmt jemand diese übergeordnete Staatsführungsrolle aber nicht an, dann funktioniert das System nicht mehr.»
Fazit: Das Knirschen im Bundesratsgebälk kam nicht erst mit Corona – es ist quasi im politischen System der Schweiz verankert.