In gut drei Wochen ist in Appenzell Innerrhoden wieder Landsgemeinde. Es ist die erste nach Corona, die letzte fand 2019 statt. Behandelt wird ein Thema, das bereits vor 13 Jahren für viel Zündstoff gesorgt hat: Wildruhezonen. Appenzell Innerrhoden ist der einzige Bergkanton, der keine solchen Zonen kennt.
2009 nahm die Innerrhoder Regierung einen ersten Anlauf, das Stimmvolk stimmte an der Landsgemeinde über die Einführung von Wildruhezonen ab – und verwarf sie. Argumentiert wurde ganz grundsätzlich, mit der persönlichen Freiheit. Man wolle kein neues Gesetz, das vorschreibe, wo man sich frei bewegen dürfe und wo nicht, hiess es damals. «Wird denn heute tatsächlich von uns erwartet, dass wir uns selber, in unserem Kanton Fussfesseln anlegen?», fragte ein Landsgemeinde-Teilnehmer rhetorisch.
Extra einen Film gemacht
Nun stimmt das Innerrhoder Stimmvolk erneut über Wildruhezonen ab. Und das Geschäft bleibt kontrovers. «Etwas plakativ gesagt, geht es vor allem darum, ein bisschen Wald zu schützen», sagt Patrik Koster, Grossrat und Präsident der zuständigen Kommission. «Aber ich glaube, ich habe noch nie zuvor für ein Geschäft so viele Dossiers durchgeackert. Es ist wirklich komplex.»
Die Befürworter – dazu gehören die Verbände und Vereine der Bauern, der Waldeigentümer, der Patentjäger und der Naturverbund Appenzell Innerrhoden – haben ein Komitee gegründet. Es wurde extra eine Webseite aufgeschaltet und ein Info-Film gedreht – für Innerrhoder Abstimmungskämpfe ist das aussergewöhnlich.
Angst vor Einschränkungen
Konkret geht es um vier Gebiete, die neu zu Wildruhezonen erklärt werden sollen. Das heisst, zwischen Mitte Dezember und Mitte April darf man diese Gebiete nur auf den Wanderwegen betreten, den Hund muss man an der Leine führen. «Mehr Einschränkungen gibt es nicht», sagt Grossrat Patrik Koster.
Ich habe noch nie zuvor für ein Geschäft so viele Dossiers durchgeackert.
Drei dieser Gebiete liegen im Alpstein-Gebiet und sind unbestritten. Streitig ist einzig das Gebiet «Sonnenhalb» südlich von Appenzell, «ein Naherholungsgebiet», wie Sepp Manser, Grossrat und Präsident des Innerrhoder Tourismusverbands erklärt. Die Gegner fürchten eine Einschränkung der persönlichen Freiheit. «Wir haben Angst, dass es kein Entwicklungspotential mehr für die Freizeitnutzung gibt, für Wanderwege oder Bike-Routen», sagt Manser.
Die Befürworter hingegen argumentieren insbesondere mit dem Schutz des Waldes. Die Wildruhezonen sind Teil des Konzepts «Wald und Hirsch», das dem wachsenden Hirschbestand und den Verbissschäden an den Bäumen etwas entgegensetzen will. Im Winter verlieren die Wildtiere mehr Energie als sie aufnehmen können. Werden sie gestört, wird der Energieverlust noch stärker, das kann bis zum Tod führen. Um sich zu schützen, ziehen sie sich in die Wälder zurück und fressen dort, was sie finden. Das führt zu Verbissschäden – zum Unmut der Waldeigentümer.
Wir haben Angst, dass es kein Entwicklungspotential mehr für die Freizeitnutzung gibt.
Für den zuständigen Regierungsrat Ruedi Ulmann ist deshalb klar: «Wenn wir den Wildruhezonen jetzt nicht zustimmen, riskieren wir, dass das ganze Wald- und Hirsch-Konzept stirbt – und damit ein Haufen Geld und Arbeit umsonst war.»
Das Stimmvolk kann an der Landsgemeinde die Vorlage entweder annehmen oder ablehnen. Die Möglichkeit, dass ein einzelnes Gebiet herausgelöst wird, gibt es nicht. Die Gegner könnten also den Antrag stellen, die Vorlage zurückzuweisen.