In den vergangenen Monaten waren lebenswichtige Medikamente wie Antibiotika, Betäubungsmittel oder Schmerzmittel immer wieder mal sehr knapp. Ärztinnen und Apotheker behalfen sich teils mit Medikamenten in anderen Grössen oder Konzentrationen.
«Es gab Zeiten jetzt auch im Peak mit Covid-19, wo wir froh waren, den Wirkstoff überhaupt zur Verfügung stellen zu können – ohne Rücksicht auf Dosierungen oder Ampullengrössen», berichtet Monika Schäublin von der Abteilung Heilmittel beim Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL):
Es gab Zeiten jetzt auch im Peak mit Covid-19, wo wir froh waren, den Wirkstoff überhaupt zur Verfügung stellen zu können.
Ein Medikament in einer anderen Konzentration zu verwenden, sei aufwändig, sagt Enea Martinelli, Chef-Apotheker im Spitalverbund FMI im Berner Oberland: «Alle Pumpen müssen neu eingestellt, das Team frisch instruiert und die Verordnungen geändert werden. Das braucht Zeit und ist mit Risiken für den Patienten verbunden.»
Wichtige Medikamente fehlten schon vor Pandemie
Martinelli engagiert sich seit Jahren dafür, dass die Versorgung mit lebenswichtigen Medikamenten grundsätzlich verbessert wird. Sowohl für die akuten Behandlungen als auch für chronische Erkrankungen wie etwa Epilepsie oder Bluthochdruck.
Wichtige Medikamente fehlten zum Teil bereits vor der Pandemie – seither hat sich die Lage laut Martinelli noch verschärft: «Beatmungsgeräte und entsprechende Medikamente lösen ein grösseres Echo aus als ein Epileptiker, der mangels Medikament nach einem Anfall vier Monate nicht mehr Auto fahren kann.»
InterPharma: Lagerkapazitäten erhöhen
Mit ein Grund für solche Engpässe sei, dass die Vertriebskette sehr stark auf den «Just-in-time»-Gedanken versessen sei, erklärt René Buholzer, CEO von InterPharma, dem Schweizer Verband der pharmazeutischen Industrie: «Es gab quasi nirgendwo Lager. Das ist kritisch, wenn man davon abhängt, täglich beliefert zu werden.»
Um in Zukunft besser für Krisen gerüstet zu sein, müssten die Lagerkapazitäten wieder erhöht werden, so Buholzer: «Lager kosten Geld, und alle Akteure wollen Kosten zu minimieren. Das Thema muss man anschauen.»
Es gab quasi nirgendwo Lager. Das ist kritisch, wenn man davon abhängt, täglich beliefert zu werden.
Das fordern auch mehrere Vorstösse aus dem Parlament, die durchaus mehrheitsfähig sind. Höhere Lagerkapazitäten allein genügten aber nicht, sagt Ruth Humbel, Präsidentin der Gesundheitskommission des Nationalrates: So müsse auch geprüft werden, dass Medikamentenpreise nicht ständig nur gesenkt würden: «Wo sich ein Mangel abzeichnet, müssen Preise auch angehoben werden können – damit die Weiterproduktion ökonomisch interessant ist und rechtzeitig geschehen kann.»
Mehr Spielraum bei Preisgestaltung gefordert
Preiserhöhungen seien vor allem für Medikamente mit abgelaufenen Patenten zu prüfen, die wirtschaftlich nicht mehr attraktiv sind und daher nur noch von wenigen oder gar einem einzigen Hersteller produziert würden, so Humbel. Diese werde die Gesamtkosten im Gesundheitswesen kaum antreiben, ist sie überzeugt.
Wo sich ein Mangel abzeichnet, müssen Preise angehoben werden können – damit die Weiterproduktion ökonomisch interessant ist und rechtzeitig geschehen kann.
Auch Martinelli fordert ein grundsätzliches Überdenken der Kosten: «Mein Interesse ist eine gute Patientenversorgung – selbstverständlich zu einem wirtschaftlichen Preis. Es muss aber diskutiert werden, bei welchen Medikamenten der Wettbewerb laufen soll bis zum Gehtnichtmehr und wo nicht.»
Handlungsbedarf ist also da. Eine neue Auswertung des BWL hat gezeigt: Allein von 2018 auf 2019 – also noch vor der Pandemie – stieg die Anzahl vermeldeter Engpässe bei wichtigen Medikamenten um 90 Prozent.