- Das Bundesgericht hatte den Fall eines Ausländers zu beurteilen, der über Jahre in der Schweiz Sozialhilfe bezogen hat. 2017 bezog er seine Pensionskassengelder und verschwieg dies der Behörde.
- Er erhielt 18'000 Franken ausbezahlt, was die Behörden später feststellten. Er erhielt eine Geldstrafe und wurde für fünf Jahre des Landes verwiesen.
- Das Bundesgericht erachtet den Landesverweis in diesem Fall nicht für verhältnismässig.
Der Bezug der Pensionskassengelder 2017 hätte einen Einfluss darauf gehabt, ob der Mann weiter Sozialhilfe erhalten hätte und wie viel. Ein halbes Jahr später bemerkten die Behörden, dass der Mann das Geld bezogen hatte und leiteten ein Verfahren gegen ihn ein. Später verurteilte ihn das Bezirksgericht zu einer Geldstrafe und verwies ihn für fünf Jahre des Landes.
Das Obergericht bestätigte den Schuldspruch und den Landesverweis. Dagegen legte der über 60-Jährige Beschwerde ein – und erhält nun Recht vom Bundesgericht. Das höchste Gericht beurteilt das Vergehen als leichten Fall, und in einem solchen sei die Ausweisung nicht verhältnismässig.
3000 Franken sind ein leichter Fall
In seinem Urteil haben die Richterinnen und Richter in Lausanne zudem die Grenzwerte festgelegt, was als leichter Fall von missbräuchlichem Bezug von Sozialhilfeleistungen zu gelten habe. Wenn die Deliktsumme höchstens 3000 Franken betrage, handle es sich automatisch um einen leichten Fall. Bei einer Summe von mehr als 36'000 Franken müsse ein leichter Fall hingegen grundsätzlich ausgeschlossen werden. Und jene Fälle dazwischen müssten einzeln geprüft werden, so das Bundesgericht.
Für Migrationsrechtler Valerio Priuli von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW ist dies schlüssig und im Einklang mit der Ausschaffungsinitiative: «Die Initiative sieht selbst tendenziell nur schwere Straftaten vor, die zu einer Ausschaffung führen sollen. Man kann daher nicht sagen, die Ausschaffungsinitiative werde verwässert.»
«Leute, die den Staat betrügen, müssen das Land verlassen»
Ganz anders sieht es allerdings die SVP, die Urheberin der Ausschaffungsinitiative. Nationalrat Gregor Rutz ist empört: «Dass es höhere, fünfstellige Beträge sind, welche als ‹leichter Fall› beurteilt werden, finde ich störend. Hier muss man eine Linie ziehen. Solche Leute, die den Staat betrügen, müssen das Land verlassen. Sonst ziehen wir völlig die falsche Klientel an.»
Fanny de Weck, die sich als Rechtsanwältin auf Straf- und Migrationsrecht spezialisiert hat, kann den Ärger der SVP nicht nachvollziehen. Eine automatische Ausschaffung wegen einer Geldstrafe sei unverhältnismässig. «Wenn die SVP die bundesgerichtliche Rechtsprechung eng beobachten würde, könnte sie selbst feststellen, dass das Bundesgericht eine knallharte Praxis verfolgt.» Über jeder Person ohne Schweizer Pass hänge ein Damoklesschwert: «Wenn man einmal – auch aus Versehen – eine falsche Angabe gemacht hat, kann man in eine Mühle kommen.» Wenn man einen absoluten Automatismus gewollt hätte, dann hätte man die sogenannte Durchsetzungsinitiative 2016 annehmen können – aber diese sei von der Stimmbevölkerung haushoch abgelehnt worden.
Die Reaktionen zeigen: Auch nach dem jüngsten Leiturteil aus Lausanne bleibt die Ausschaffung von straffälligen Ausländerinnen und Ausländern ein heisses Eisen.