«Wir müssen die Leute praktisch in flagranti erwischen», sagt Beat Lüscher. Lüscher ist Sachbearbeiter bei der Regionalpolizei Wettingen-Limmattal und seit 30 Jahren Polizist.
Wenn die Polizei auf eine «Sauerei» stösst, etwa auf einem Picknickplatz, abends auf einem Schulgelände oder am Flussufer, dann sind die, die den Abfall zurückgelassen haben, oft schon über alle Berge. «Dann haben wir keine Beweise», so Polizist Lüscher.
Wir kommen wieder und schauen, ob ihr aufgeräumt habt.
Im besseren Fall trifft die Polizei jemanden an, zum Beispiel eine Gruppe Jugendlicher, die noch am Feiern ist. «Dann nehmen wir eine Person, meistens die älteste, in die Pflicht», sagt Lüschers Kollegin, Claudia Bütler. «Wir nehmen ihre Personalien auf und sagen, wir kommen wieder und schauen, ob ihr aufgeräumt habt».
Rare Bussen
Lüscher und Bütler gehen regelmässig auf Jugend-Patrouille im aargauischen Limmattal. Die Littering-Busse von 300 Franken, die es seit letztem Jahr gibt, haben beide noch nie ausgestellt. Polizist Lüscher lässt auch durchblicken, dass er 300 Franken eine hohe Summe findet. «Gerade für einen jungen Menschen, einen 15-jährigen, der vielleicht nicht einmal Sackgeld hat». Er kann sich vorstellen, dass mancher Kollege, manche Kollegin Hemmungen hat, zum Bussenzettel zu greifen.
Tatsache ist, dass im ersten Jahr nur gut 100 Littering-Bussen ausgestellt wurden im ganzen Kanton. Wenig, findet auch der Aargauer Regierungsrat und mutmasst ebenfalls, dass die Polizistinnen und Polizisten Hemmungen hätten. Die Aargauer Regierung wollte die Littering-Busse darum wieder auf 100 Franken senken. Doch nach Anhörung der Gemeinden hat die Regierung den Vorschlag wieder zurückgezogen – die Littering-Busse bleibt bei 300 Franken.
Flickenteppich bei Littering-Bussen
300 Franken ist tatsächlich viel – in doppelter Hinsicht. Einerseits verglichen mit anderen Vergehen: Wer zum Beispiel mit einem Auto ein Rotlicht überfährt wird «nur» mit 250 Franken gebüsst, gefährdet aber unter Umständen Menschenleben.
Andererseits sind die 300 Franken im Aargau fürs Littering auch im schweizerischen Vergleich sehr hoch. Das andere Extrem ist der Kanton Appenzell Ausserrhoden, der gar keine Littering-Busse kennt. Dazwischen liegen viele Kantone mit Bussandrohungen zwischen 40 und 80 Franken. 80 Franken Busse gibt es auch in den beiden grössten Deutschschweizer Städten Basel und Zürich. Strenger wiederum ist die zweitgrösste Westschweizer Stadt, Lausanne, mit 150 Franken.
Es ist nicht zuletzt dieser Flickenteppich bei den Littering-Bussen, der Mathias Jauslin stört. Der Aargauer FDP-Nationalrat präsidiert die nationalrätliche Subkommission, die sich dem Thema «Kreislaufwirtschaft» angenommen hat – also dem Ziel, dass möglichst viel wiederverwertet wird und so möglichst wenig Abfall entsteht.
Abschreckender Effekt als Ziel
Jauslin ist sich zwar bewusst, dass es nicht einfach ist, Leute beim Littern auf frischer Tat zu ertappen und Bussen auszusprechen. Er setzt aber ganz auf den abschreckenden Effekt: «Gerade, wenn die Busse in der ganzen Schweiz einheitlich und relativ hoch ist, bin ich überzeugt, dass sie ihre Wirkung nicht verfehlt», so Jauslin.
Jauslin hofft, dass so die Leute im Land wieder verantwortungsbewusster werden und zu dem zurückfinden, was er den für die Schweiz an sich charakteristischen «Ordnungssinn» nennt.
Umweltpsychologe: «300 Franken sind unverhältnismässig»
«Bussen können das Littering schon reduzieren», sagt auch Ralph Hansmann. Er ist Dozent für Umweltpsychologie an der ETH Zürich und hat viel zum Thema Littering in der Schweiz geforscht. Vor allem an Orten, wo die Leute mit Kontrollen rechnen müssten, könnten Bussandrohungen einen Effekt haben.
Die 300 Franken hält Hansmann aber klar für zu hoch. «Wenn das eine Gruppe betrifft, die an einem Grillplatz viele Bier- und Cola-Dosen und Pizzaschachteln liegen lässt, dann sind 300 Franken vielleicht okay, aber für eine Person, die einen Zigarettenstummel wegwirft, ist das zu viel.» Zu hohe Bussen machten auch die Polizeiarbeit schwierig.
Anti-Littering-Verhalten anerziehen
Der Eindruck, dass das Littering zugenommen hat, deckt sich mit Hansmanns Erkenntnissen. Er sieht vor allem zwei Gründe dafür: das Bevölkerungswachstum und die Zunahme des Take-away-Geschäfts. Letzteres habe die Abfallmenge im öffentlichen Raum und damit auch das Littering erhöht.
Neben Repression braucht es für Ralph Hansmann viel Sensibilisierungsarbeit, mit Plakaten und anderen Kampagnen. Und dazu konkreten Abfallunterricht in den Schulen. «Wenn Schulkinder in einer Gruppe zum Beispiel Abfall sammeln, etwa ein Waldstück oder den Schulhausplatz aufräumen, dann wird sich bei ihnen von innen heraus ein Anti-Littering-Verhalten entwickeln.»
Freiwillige in die Verantwortung nehmen
Ein ähnliches Ziel hat ein gross angelegtes Projekt in der Schweiz, die sogenannten Raumpatenschaften. Dabei übernehmen Freiwillige die Verantwortung für die Sauberkeit bestimmter Gebiete – etwa eines Strassenabschnittes, eines Waldstücks oder eines Parks. «Wer hier mitmacht, verinnerlicht eine Anti-Littering-Haltung», sagt Umweltpsychologe Hansmann. Zudem sparen Gemeinden und Städte Reinigungskosten.
Wer hier mitmacht, verinnerlicht eine Anti-Littering-Haltung.
Bereits existieren in etwa 50 Schweizer Städten und Gemeinden solche Raumpatenschaften. Organisiert werden diese Projekte von der Interessengemeinschaft für eine saubere Umwelt (IGSU) – dahinter stehen die Schweizer Recyclingorganisationen für Glas, PET und Aluminium.
National- und Ständerat am Zug
Unterdessen gibt es auch politische Bemühungen, die das Problem des Litterings an seinem Ursprung bekämpfen wollen: Nationalrat Jauslins Subkommission zur Kreislaufwirtschaft will nicht nur eine Littering-Busse vorschlagen, sondern hat einen ganzen Strauss von Vorschriften ausgearbeitet, die generell für weniger Abfall sorgen sollen.
Der Podcast, der zeigt, was Politik in unserem Leben anstellt. Hier erfahrt ihr, wie und weshalb. Die Hosts Reena Thelly und Raphaël Günther zoomen mit Inlandjournalistinnen und -journalisten von SRF ganz nah ran, an die Schweizer Politik
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Das geht von Anreizen für die Privatwirtschaft für mehr Recycling, zum Beispiel von Kunststoffen, bis hin zu Vorschriften für Geräte, dass man diese besser reparieren kann. All diese Vorschläge müssen aber noch Mehrheiten in National- und Ständerat finden – genauso wie die Littering-Busse von 300 Franken.