«Wenn die Risikopatienten geimpft sind, werden etwa drei Viertel der Hospitalisationen wegfallen. Das heisst, wir könnten dann mit Fallzahlen von 20’000 bis 30'000 pro Tag leben, ohne dass die Spitäler an den Anschlag kämen», sagt Valentin Vogt, Präsident des Arbeitgeberverbandes, gegenüber SRF.
Vogt meint damit, dass sobald die Risikogruppe geimpft ist – was wohl ab Mitte Mai der Fall sein könnte – ein Umdenken stattfinden müsse. Schliesslich sei das Risiko für einen schweren Verlauf ausserhalb der Risikogruppe bedeutend kleiner, deshalb würde auch das Gesundheitswesen nicht überlastet. Der Bundesrat müsse daher, sobald die Risikogruppe geimpft sei, die Massnahmen bedeutend schneller lockern, fordert Vogt weiter.
Infektionsgeschehen ausser Kontrolle
Die Berechnungen und Forderungen stossen bei Urs Karrer, Vizepräsident der wissenschaftlichen Covid-19-Taskforce, auf grosses Unverständnis. Als Klinikchef des Kantonsspital Winterthur sehe er, dass bereits heute etwa 50 Prozent der Corona-Patientinnen und -Patienten nicht der Risikogruppe angehören. Und das, obwohl die Zahlen mit etwas über 2000 Neuansteckungen pro Tag einem Zehntel jener Zahlen entsprechen würden, die Vogt in Kauf nehmen würde.
Somit würde es bei bis zu 30'000 Neuansteckungen pro Tag mit dem Coronavirus zu einer Überlastung der Spitäler kommen, auch wenn die Risikogruppe geimpft sei. Denn laut Karrer sterben von 1000 Personen im Alter von 50 Jahren zwei Personen und drei bis vier Prozent landen im Spital. Bei bis zu 30'000 Neuansteckungen pro Tag wäre das Infektionsgeschehen nicht mehr kontrollierbar.
Wirtschaftlicher Nutzen umstritten
Auch den wirtschaftlichen Nutzen von schnellen Lockerungsschritten bezweifelt Infektiologe Karrer. Infizierte Personen müssen sich in Isolation begeben und können während dieser Zeit nicht arbeiten. Sie fehlen damit auf dem Arbeitsmarkt, fallen aber auch als Konsumentinnen und Konsumenten weg.
Solche Befürchtungen teilt Valentin Vogt vom Arbeitgeberverband nicht, er gehe davon aus, «dass es nur eine kurze Phase ist, die intensiv ist, und dann wird auch dort wieder Normalität einkehren». Zudem werde das Risiko einer Ansteckung sinken, da mehr Leute geimpft seien.
Karrer von der Taskforce wirft ein, dass solche Aktionen kaum solidarisch wären, denn «es ist absolut unfair, wenn man jetzt, nach dem sich die Leute ein Jahr lang massiv eingeschränkt haben, um dieses Virus unter Kontrolle zu halten, sie nun einer durchaus gefährlichen Infektion aussetzt, ohne dass sie die Chance hatten, sich impfen zu lassen». Und das wohl «zwei Monate, bevor man die Chance hatte, einen Grossteil der Bevölkerung zu impfen», so Karrer.