- Es ist ein Fall, wie er glücklicherweise kaum je vorkommt: Ein minderjähriges Mädchen wurde von ihrem vermeintlichen Freund über Monate zur Prostitution gezwungen.
- Am Freitag stand der Mann vor dem zuständigen Amtsgericht in Solothurn, angeklagt etwa wegen Menschenhandels, Förderung von Prostitution und sexueller Nötigung.
- Der Mann soll rund eine Million Franken verdient haben mit seiner «Loverboy»-Masche. Es gibt mehrere Opfer.
Das Drama beginnt im Sommer 2016. Ein 16-jähriges Mädchen aus der Region Solothurn lernt über eine Chat-App einen damals etwa 22-jährigen Mann kennen. Er scheint ihr das zu geben, was ihr fehlt: Zuneigung, Akzeptanz und Verständnis. Doch die grosse Liebe ist nur vorgegaukelt. Was der Mann laut Anklage wirklich will: Die Schwächen der Teenagerin gnadenlos zu seinen Gunsten ausnutzen.
In den nächsten Monaten – so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft – zwingt der vermeintliche Freund die Minderjährige beinahe täglich zur Prostitution. Er vermittelt sie an unzählige Freier, produziert pornografische Fotos und Videos und kassiert die Einnahmen. Dabei nimmt er gemäss Anklage keine Rücksicht.
Ausbeutung ohne Skrupel
Das Mädchen muss sogar nach dem überraschenden Tod ihrer Mutter für ihn anschaffen, selbst am Tag der Abdankungsfeier. Es wird zu allen möglichen sexuellen Praktiken gezwungen, hat ungeschützten Geschlechtsverkehr. Und auch die Bedürfnisse des «Loverboys» muss die junge Frau befriedigen, nachdem sie bereits mehrere Freier «bedient» hat. Er macht weiter, obwohl sie weint.
Der Angeklagte habe gezielt die Verletzlichkeit der Teenagerin ausgenutzt, habe sie in eine «fatale emotionale Abhängigkeit» gebracht, sagt die Staatsanwaltschaft. Das Mädchen kam aus schwierigen familiären Verhältnissen, es litt an Mobbing-Erfahrungen während seiner Schulzeit. Geplagt von Selbstzweifeln und mangelnder Selbstliebe war die Teenagerin empfänglich für das Versprechen der grossen Liebe. Sie sei «das perfekte Opfer» gewesen.
Zwang durch emotionale Abhängigkeit
Natürlich habe sie sich gegen die Prostitution gewehrt. Doch der vermeintliche Liebhaber verstand es offenbar, ihr Mitleid zu wecken (er und seine Familie hätten finanzielle Probleme), ihre Loyalität zu provozieren (nur sie könne helfen und sei ihm dies schuldig), ihre Träume zu bedienen (sie bräuchten das Geld für eine gemeinsame Zukunft) und ihr mit Konsequenzen zu drohen (wenn sie ihm nicht helfe, dann verlasse er sie).
Die Anklageschrift schildert einen monatelangen Albtraum. Die junge Frau beendete die Sache aber erst, als sie sich mit dem Erbe ihrer verstorbenen Mutter quasi «freikaufen» konnte. Insgesamt habe der Angeklagte mit der Ausbeutung des Mädchens rund eine Million Franken «verdient», so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft.
Der Staatsanwalt forderte am Freitag vor Gericht gut zehn Jahre Gefängnis, unter anderem wegen Menschenhandels und sexueller Nötigung. Der Angeklagte verweigerte jegliche Aussage zu den Vorwürfen.
Die Aussagen der Opfer seien glaubwürdig und würden durch den Email-Verlauf und gefundene Dateien auf einem Smartphone bestätigt, erklärte der Staatsanwalt. Die Verteidigung des Mannes hat ihr Plädoyer am späten Nachmittag gestartet.
Der Prozess dauert bis am späten Freitagabend. Das Urteil wird für Dienstag nächste Woche erwartet. Der Angeklagte sitzt aktuell in Untersuchungshaft. Für ihn gilt die Unschuldsvermutung.