«Ich finde es nicht in Ordnung, dass ich mich dem Risiko, angesteckt zu werden, aussetzen muss», sagt ein Chauffeur. Er leidet an einer chronischen Lungenembolie und fürchtet sich davor, zur Arbeit zu gehen. Der Kontakt mit Kunden und Arbeitskollegen beim Beladen und Entladen der Fahrzeuge sei nicht zu vermeiden.
Weniger Lohn wegen Krankheit
Er meldet seinem Chef, dass er zu einer Risikogruppe gehört und ohne Schutzmassnahmen nicht mehr arbeiten darf. Darauf schickt ihm die Firma ein Dokument zur Unterschrift. Er darf zwar daheimbleiben, muss aber in Kurzarbeit einwilligen. Das bedeutet weniger Lohn.
Auch ein Elektroinstallateur-Lehrling hat sich bei «Kassensturz» gemeldet. Ginge es nach dem Willen seines Arbeitgebers, wäre er weiterhin auf dem Bau. Doch als Diabetiker gehört auch er zur Risikogruppe. «Falls es mich erwischt, habe ich ein grösseres Risiko, daher muss ich mich besser schützen», sagt er.
Eine Checkliste des Bundes regelt, welche Schutzmassnahmen für Risikopatienten auf dem Bau nötig sind: Mindestens zwei Meter Abstand zu den Mitarbeitern, sanitäre Anlagen, die regelmässig gereinigt werden und einige mehr. Dies sei jedoch nicht eingehalten worden, sagt der Lehrling.
Die Eltern schalteten sich ein, forderten, dass ihr Sohn zuhause bleiben darf, doch der Chef lehnte ab. «Er beschimpfte mich, obwohl ich immer alles gegeben habe.» Nach langem Hin und Her willigt der Arbeitgeber ein – der Lehrling darf daheim bleiben, muss aber einen Teil von seinem Ferienguthaben beisteuern.
«Das darf der Chef nicht verlangen», sagt Arbeitsrechtsexperte Roger Rudolph. Wenn der Arbeitgeber die Sicherheitsregeln nicht einhalten könne, könne er Risikopatienten nicht zu Kurzarbeit oder Ferien zwingen. «Das wäre angebracht, wenn es durch geeignete Massnahmen möglich wäre, im Betrieb oder auf der Baustelle eine sichere Tätigkeit sicherzustellen. In einem solchen Fall müsste der Lernende arbeiten, dann würde eine Arbeitspflicht bestehen.»
Arbeitgeber definiert Risikogruppe
Auch eine Frau meldet sich bei «Kassensturz», sie ist besorgt um ihren Mann. Dieser arbeitet in der Sicherheitsbranche und hat im Ernstfall Personenkontakt. Sein Arzt attestiert, er solle nicht arbeiten, er hat Bluthochdruck. Sein Arbeitgeber jedoch akzeptiert Bluthochdruck nicht als Risiko.
«Der Arbeitgeber sieht ihn nicht als Risikopatienten, das Bundesamt für Gesundheit jedoch schon. Weil er am Arbeitsplatz nicht als Risikopatient gilt, verlangen seine Vorgesetzten, dass er in Personenkontakt geht, falls es diesen geben sollte», sagt seine Frau. Dies sei absurd: «Privat gehen wir nicht einkaufen, haben kaum soziale Kontakte. Und dann müssen wir mit dem Risiko leben, dass er sich bei der Arbeit ansteckt.» Der Arbeitgeber gehe bewusst das Risiko ein, dass sich ihr Mann anstecke: «Die Gesundheit meines Mannes ist ihm total egal.»
Die Verordnung ist zu schwammig
Der Zentralsekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, Luca Cirigliano, kritisiert den Arbeitgeber. Die Liste des Bundesrates sei verbindlich. Doch die Vorordnung sei zu schwammig. Er fordert präzisere, arbeitnehmerfreundlichere Vorgaben: «Es müsste klar stehen, dass eine Person bei vollem Lohn zuhause bleiben kann, wenn der Chef keine hundertprozentige und überprüfte Garantie geben kann, dass die Massnahmen ganz spezifisch für diese Person, eingehalten werden können.»